Angeregt von der amerikanischen Kommunitarismusdebatte wird auch in Deutschland der Ruf nach mehr Gemeinsinn, bürgerschaftlichem Engagement und einer Rückbesinnung auf gemeinsame Werthorizonte des politischen Gemeinwesens laut. Die augenscheinlichen Überforderungen des Sozialstaates angesichts einer sich vertiefenden sozialen Ungleicheit und die Probleme der politisch-kulturellen Integration des vereinten Deutschlands befördern das politische Interesse an der Wertediskussion. In den USA hat sich aus der akademischen Diskussion auch eine politische Intellektuellenbewegung formiert und ein erstes politisches Reformprogramm - eine kommunitaristische Plattform entwickelt.
Die deutsche Rezeption der amerikanischen Kommunitarismusdebatte erfordert, so Otto Kallscheuer, zum einen eine ideengeschichtliche Begründung der neueren Gemeinschaftsdiskussion in den älteren Traditionen des europäischen Denkens. Zum anderen müssen die Besonderheiten des amerikanischen Gemeinschaftsdenkens berücksichtigt und dessen jeweilige Verwendungskontexte unterschieden werden. Angesichts autoritärer und harmonistischer Konzeptionen der "Volksgemeinschaft" seitens des völkischen Nationalismus und seiner nationalsozialistischen Durchführung liegt der deutschen Rezeption des amerikanischen Gemeinschaftsdenkens ein prinzipielles Mißtrauen zugrunde. Demgegenüber weist Kallscheuer auf die demokratischen und partizipatorischen Chancen der amerikanischen Diskussion hin.
Die politische Programmatik und die Reformansätze des amerikanischen Kommunitarismus stehen im Zentrum des Beitrags von Hans Joas. Diese Bewegung entwickelt sich über die doppelte Kritik sowohl des individualistischen Liberalismus als auch einer staatszentrierten Reformpolitik. Unter dem Schlüsselbegriff einer "Remoralisierung" der Politik stehen die Themen Familie und Schule, die Revitalisierung bestehender und Schaffung neuer Gemeinschaften im Zentrum der politischen Programmatik. Außerdem werden die Strukturen des politischen Willensbildungsprozesses sowie die Reform des Wohlfahrtsstaates behandelt. Eine vorläufige Bilanz der deutschen Kommunitarismusdiskussion unternimmt Hans Vorländer. In eigentümlicher Sterilität sei - so sein Fazit - diese über den engeren theoretisch-wissenschaftlichen Diskurs nicht hinausgelangt und bisher politisch folgenlos verlaufen. Ein Grund dafür liegt - so Vorländer - darin, daß die deutsche Kommunitarismusdiskussion mit versetzten intellektuellen und kulturellen Fronten operiert: Nicht eine Dominanz des Liberalismus, wie sie der amerikanischen Debatte zugrunde liegt, sondern eher ein Defizit liberaler Wertorientierungen bildet den Rahmen der deutschen Diskussion. Trotz einer politisch mageren Bilanz der deutschen Debatte repräsentiert sie ein anstiftendes zeitdiagnostisches Potential. In der sozialpolitischen Diskussion hat ein kommunitaristisch-zivilgesellschaftlicher Perspektivenwechsel stattgefunden und zu einer Aufwertung von Formen des freiwilligen sozialen Engagements beigetragen.
Bestehende begriffliche und theoretische Unklarheiten in der Diskussion über "Bürgergesellschaft", "Gemeinschaft" und "Wohlfahrtsgesellschaft" können, so Roland Roth, nur auf dem Wege einer Präzisierung ihrer Themenbereiche und empirischen Bezüge geklärt werden. Weitergehende Beachtung gelten der gesellschaftstheoretischen Reichweite, sowie der politischen Zielsetzungen und reformpolitischen Konsequenzen der Diskussion.
Markt und Staat, Ökonomisierung und Bürokratisierung gelten - so Michael Opielka - Kommunitarismus-Autoren als mitverantwortlich für soziale Auflösungserscheinungen, Entwurzelung und den Verlust von Gemeinschaftsbindungen. Opielka gibt nach einer knappen Skizze der kommunitaristischen Zeitdiagnose einen Überblick zu den sozialpolitischen Bezügen kommunitaristischer Argumente.
Wie wird der Kommunitarismus vom Feminismus wahrgenommen und bewertet? Innerhalb des Feminismus, so Martina Ullrich, muß zur Beantwortung dieser Frage zunächst zwischen einer nachholend-liberalen und einer post-liberalen Strömung unterschieden werden. Während erstere Strömung dem Kommunitarismus eher skeptisch gegenübersteht, finden sich Berührungspunkte zwischen dem Kommunitarismus und der post-liberalen Strömung des Feminismus. Die Kommunitarismusdebatte liefert auch den Programmtheoretikern der Parteien wichtige Anregungen. Erstmals wird eine Bestandsaufnahme der Kommunitarismusrezeption in der deutschen Parteienlandschaft von namhaften Programmtheoretikern der Parteien unternommen: Thomas Meyer (SPD), Thomas M. Gauly (CDU); Winfried Kretschmann (Grüne) und Hans Vorländer (als kritischer Beobachter der FDP). Mit den Umsetzungsproblemen des kommunitaristischen Projekts beschäftigen sich Gerd Mielke als Abteilungsleiter im Beratungsstab der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei und Harald Plamper von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung in Köln.
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