Die Bürgerbewegungen der ehemaligen DDR sind heute politisch an den Rand gedrängt. Auch in den Reflexionen zahlreicher Akteure ist selbstkritisch von ihrem "Scheitern" die Rede. Symbolische Gesten der Anerkennung wie die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Akteure der Bürgerbewegungen oder die mit Blick auf deren öffentliche Wirkung inszenierte Stippvisite des Bundeskanzlers bei Bärbel Bohley und anderen prominenten BürgerrechtlerInnen hinterlassen in den Kreisen der Bürgerbewegungen selbst einen faden Beigeschmack. Hier verdichtet sich das Mißverhältnis von moralischer Anerkennung und politischer Machtlosigkeit. In den Sozialwissenschaften hat der politische und gesellschaftliche Wandel in Osteuropa zu einer Konjunktur der Transformationsforschung geführt. Der besondere Charakter der osteuropäischen Transformation liegt in der Gleichzeitigkeit eines Wandels auf den drei Ebenen der Ökonomie, der politisch- institutionellen Verfassung und der Kultur. Sie unterscheidet sich damit von "anderen Transformationsprozessen, die in Mitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg, in Südeuropa und in Lateinamerika in den 70er und 80er Jahren stattgefunden haben". Die ehemalige DDR nimmt in einer vergleichenden Perspektive eine Sonderrolle ein. Wegen der "dominanten Rolle externer Akteure" aus der alten Bundesrepublik, so Claus Offe, "handelt es sich bei der DDR weder um eine Transformation 'von unten' noch um eine solche 'von oben', sondern um eine 'von außen'".
Im Prozeß der deutschen Einigung kam es zu einer schnellen und weitgehend bedingungslosen Übernahme des westdeutschen Institutionensystems in Ostdeutschland. Gemessen an den eigenen Zielsetzungen - einer eigenständigen Entwicklung der DDR- Gesellschaft unter basisdemokratischen politischen Bedingungen - sind die Bürgerbewegungen gescheitert. Dieter Rucht bilanziert die ausschlaggebenden internen und externen Faktoren dieser Entwicklung. Während führende Persönlichkeiten der Bürgerbewegungen in den neu entstandenen Parteistrukturen Ostdeutschlands aufging, hielten einige kleinere Gruppierungen an Anspruch und Programm der Bürgerbewegungen fest und suchten nach neuen Aufgabenfeldern. Dieter Rink gibt einen Überblick über diese Gruppen, die allerdings derzeit vom Zerfall ihrer Strukturen bedroht sind. Irene Zierke erläutert im Rückgriff auf das Konzept der Alltagskulturen die Entfaltungschancen der ostdeutschen sozialen Bewegungen.
Hubertus Knabe analysiert den Umgang der ostdeutschen Bürgerbewegung mit der DDR - Vergangenheit und besonders mit dem Thema "Staatssicherheit". In einem geschichtlichen Abriß stellt er den Wandel der Einstellung der Bürgerbewegung zum MfS dar. In seinen Schlußfolgerungen setzt er sich mit der These auseinander, daß die Stasi-Debatte mangels anderer Themen gegenwärtig einen Identitätsanker der Bürgerbewegung darstellt. Was Knabe im größeren Rahmen darstellt, diskutiert Helmut Müller-Enbergs am Beispiel der Brandenburger Bürgerbewegung. Er zeigt auf, daß innerhalb der Fraktion Bündnis90 erheblich differierende Ansichten über die Art und Weise des Umgangs mit den ehemaligen IM's in den eigenen Reihen und vor allem mit dem "Fall Stolpe" bestanden. Die Diskussion um seine Person hatte eine Spaltung der Bürgerbewegung und letztlich den Bruch der Koalition zur Folge. In einem letzten Beitrag untersucht Lothar Probst die Chancen der Bürgerbewegungen zum Machterwerb nach der Wende.