- Dieter Rucht: Multinationale Bewegungsorganisationen: Bedeutung, Bedingungen, Perspektiven
- Christian Lahusen: Internationale Kampagnen. Grundmuster und Kontextfaktoren globalen kollektiven Handelns
- Annette Zimmer: Was bringt die Dritte Sektor Forschung den internationalen Nicht-Regierungsorganisationen und den Bewegungsnetzwerken?
- Heike Walk/ Achim Brunnengräber: "Ad-hoc-Allianzen" - eine neue gesellschaftliche Perspektive?
- Daniel Janett: Allianzsysteme von Nicht-Regierungsorganisationen in der Klimapolitik. Zwischenbericht aus einer Fallstudie zum Berliner Klimagipfel
- Ines Holthaus: Zur Entwicklung der internationalen Frauenbewegung in der "UN-Dekade der Frau"
- Herbert Kitschelt: Demokratietheorie und Veränderungen politischer Beteiligungsformen im institutionellen Design postindustrieller Gesellschaften
Dieter Rucht: Multinationale Bewegungsorganisationen: Bedeutung, Bedingungen, Perspektiven FJNSB, Seiten 30-41
In seinem einleitenden Beitrag strukturiert Dieter Rucht das Themenfeld, indem er der Begriffsvielfalt im Spannungsfeld von Non-Governmental Organizations, Non-Profit Organizations (NPOs) und Drittem Sektor eine eigene Systematik gegenüberstellt. Rucht definiert multinationale Bewegungsorganisationen (MBO) als "bewegungszugehörige Organisationen bzw. Verbindungen - vor allem Netzwerke - von Organisationen, die strukturell, also nicht nur in ihrem Themenhorizont, über ein bestimmtes Land hinausreichen und somit einen transnationalen, internationalen oder supranationalen Charakter haben (...) und die deshalb in aller Regel auch Probleme mehrerer Länder aufgreifen". Er identifiziert verschiedene Strukturtypen dieser MBO mithilfe einer Analyse ihrer Organisationsstruktur und Kompetenzmuster. Nach einem Überblick über die Themenbereiche international tätiger NRO untersucht Rucht die strukturellen Voraussetzungen und Kontextbedingungen für die wachsende Anerkennung und Wertschätzung, die NRO in den letzten Jahren seitens offizieller Stellen und in den Massenmedien erfahren. Zu den Strukturproblemen der NRO zählen die Konkurrenz um Ressourcen, interne Differenzen und Konfliktlinien, zunehmende Bürokratisierung und Kommerzialisierung, Tendenzen der Kooption und Entradikalisierung sowie die bereits heute zu beobachtenden Inflationseffekte.
Christian Lahusen: Internationale Kampagnen Grundmuster und Kontextfaktoren globalen kollektiven Handelns FJNSB, Seiten 42-51
Am Beispiel der internationalen Kampagnen von Greenpeace und Amnesty International analysiert Christian Lahusen Grundmuster und Kontextfaktoren globalen kollektiven Handelns. Der Zwang zur Internationalisierung politischen Handelns geht einher mit organisationalen und strukturellen Veränderungsnotwendigkeiten der Bewegungsnetzwerke. Lahusens Untersuchung internationaler Kampagnen versucht vor diesem Hintergrund die Entwicklungsdynamiken kollektiven Handelns und die Mobilisierungsanstrengungen internationaler NRO im Hinblick auf die zunehmende Verwebung lokaler und globaler Themenstellungen, die sich steigernde Komplexität der organisationalen Umwelten von Bewegungshandeln und die Koordinierungs- und Strukturierungsprobleme internationaler Kampagnenarbeit zu überprüfen. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, daß der Erfolg internationalen Protesthandelns zunehmend von der Fähigkeit der Bewegungsorganisationen abhängt, verschiedene nationale und internationale Handlungsebenen zu integrieren und angemessene Koordinierungsstrategien an der Schnittstelle zwischen dem Lokalen und dem Globalen zu entwickeln.
Annette Zimmer: Was bringt die Dritte Sektor Forschung den internationalen NGOs und Bewegungsnetzwerken? FJNSB, Seiten 52-60
Die Fragestellung, ob und wie die Forschung zu internationalen Bewegungsorganisationen von der internationalen Dritte Sektor-Forschung profitieren kann, untersucht Annette Zimmer in ihrem Beitrag. Sie charakterisiert die Dritte Sektor-Forschung als primär empirisches Unternehmen mit einem pragmatischen Zuschnitt auf die Bedürfnisse der NPOs und Bewegungsunternehmer. Eine Hauptaufgabe der Dritte Sektor-Forschung liegt demnach in der Beratung von NPOs, die als funktionales Äquivalent zu staatlichen und kommerziellen Dienstleistern begriffen werden. Diese Beratungsangebote umfassen professionelles Lobbying und Networking ebenso wie Management, Marketing und Fundraising. Neben einer Analyse der inhaltlichen Schwerpunkte und Strukturen der internationalen Forschungslandschaft untersucht Zimmer die thematische Anschlußfähigkeit der Dritte Sektor-Forschung an die aktuellen Diskussionen um Kommunitarismus, internationale Zivilgesellschaft und den Ressourcenmobilisierungsansatz in der Bewegungsforschung. In diesem Zusammenhang verweist die Autorin auf aktuelle Tendenzen, die Dritte Sektor-Forschung zunehmend für Phänomene politischer Partizipation, für demokratietheoretische und sozialpolitische Forschungsschwerpunkte zu öffnen. Einen potentiellen Nutzen für die Beschäftigung mit NRO - so bilanziert Zimmer - bietet die Dritte Sektor-Forschung vor allem in bezug auf (1) das erarbeitete praxisrelevante Wissen zu Management- und Organisationsfragen, zu Ressourcenallokation und Personalarbeit in Bewegungsorganisationen sowie (2) die Etablierung interdisziplinärer Foren für die Selbstreflexion der eigenen Arbeit und der Identität von NRO als vorrangig ideelle Vereinigungen.
Heike Walk/Achim Brunnengräber: "Ad-hoc-Allianzen" - eine neue gesellschaftpolitische Perspektive? FJNSB, Seiten 70-82
Die Allianzbemühungen umweltpolitischer NRO werden in zwei weiteren Beiträgen jeweils am Beispiel der ersten Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention (Klimagipfel) 1995 in Berlin untersucht. Heike Walk und Achim Brunnengräber argumentieren, daß in der zu beobachtenden Tendenz der Bildung von ad-hoc-Allianzen zwischen NRO und Regierungen oder Unternehmen die Gefahr liegt, den Blick auf das kurzfristig Machbare zu konzentrieren und dadurch grundlegende Reformnotwendigkeiten in der Umwelt- und Entwicklungspolitik zu vernachlässigen. Auf Seiten der Bewegungsorganisationen sind es demnach die politisch-ideologische Krise sowie die (oftmals) überlebenswichtige Frage der Ressourcenakquise; aus Sicht der Regierungsorganisationen und Unternehmen sind es die Interpretationskompetenz der NRO, wahltaktische Überlegungen und Legitimationsnotwendigkeiten eigener Politik-Konzepte sowie Imagegründe, die eine allseitige strategische Öffnung und damit einen konsensualen Politikstil fördern. Walk/ Brunnengräber analysieren zentrale Aspekte solcher strategischen Allianzen im Vorfeld und im Verlauf des Berliner Klimagipfels und warnen in diesem Zusammenhang vor einer Konzentration der NRO-Aktivitäten auf eine "Politik der kleinen Schritte" im Dialog mit dem politisch-administrativen System und den Marktkräften. In dieser Allianzpolitik sehen die AutorInnen die Gefahr begründet, daß sich die Forderungen der NRO dem Schneckentempo der klimapolitischen Prozesse des internationalen Konferenzgeschehens anpassen und an radikaler Substanz verlieren.
Daniel Janett: Allianzsysteme von Nicht-Regierungsorganisationen in der Klimapolitik Zwischenbericht aus einer Fallstudie zum Berliner Klimagipfel FJNSB, Seiten 83-89
Demgegenüber macht Daniel Janett in seiner Analyse der Allianzsysteme von NRO im Zuge des Klimagipfels deutlich, worin die Vorteile solcher Bündnispolitik liegen können. Janett kennzeichnet staatliche und marktwirtschaftliche Akteure als Konstituenten der politischen Gelegenheitsstruktur von Bewegungsorganisationen und argumentiert, daß diese - ebenso wie die Adressaten soziualen Protesthandelns - entscheidenden Einfluß auf den Erfolg einer Bewegung haben. Er verweist darauf, daß insbesondere die neuen sozialen Bewegungen entgegen ihrem augenscheinlich strak antiinstitutionalistischen Binnendiskurs schon sehr früh intensive Kontakte zu den traditionellen politischen Kräften unterhielten. Ohne diese Allianzsysteme - so der Autor unter Bezugnahme auf empirische Erkenntnisse der Bewegungsforschung - seien weder die Erfolge der europäischen Friedens- und Ökologiebewegung, noch jene der amerikanischen Frauen- oder Bürgerrechtsbewegungen erklärbar. In seiner Untersuchung des NRO-Netzwerks zum Klimagipfel unterscheidet Janett zwei Segmente mit unterschiedlichen Handlungslogiken: (1) das hochprofessionalisierte, realpolitische "Lobby-Segment" (repräsentiert durch das Climate Action Network) mit seiner Konzentration auf das 20% CO2-Reduktionsprotokoll sowie die Einflußnahme auf das UN-Verhandlungssystem und (2) das vielgestaltige, fundamental-oppositionelle "Mobilisierungs-Segment", dessen Anstrengungen sich auf die Mobilisierung der öffentlichen Meinung sowohl im lokalen, als auch im nationalen und internationalen Kontext richten. Obwohl auch in diesem Beitrag die Ergebnisse des Gipfels als Mißerfolg bewertet werden, wird das Scheitern nicht auf die Allianzenbildung der NRO zurückgeführt. Janett plädiert vielmehr dafür, auch zukünftig beide Handlungslogiken - die auf die Binnenstruktur und die kollektive Identität gerichtete "Mitgliedschaftslogik" und die auf Außenwirkung und Interaktion mit Gegnern konzentrierte "Einflußlogik" - simultan zu verfolgen. Erst dieser Strategiemix kann den Erfolg kollektiven Handelns sicherstellen.
Ines Holthaus: Neuere Entwicklungen der internationalen Frauenbewegung Reaktionen auf globale Prozesse FJNSB, Seiten 61-69
Die Funktion der UN-Weltfrauenkonferenzen für die Konstituierung einer internationalen Frauenbewegung sowie die inhaltlichen und strategischen Verhandlungsprozesse zwischen einzelnen Frauenorganisationen untersucht Ines Holthaus. Obwohl die Vielfalt von Themen und Organisationsformen sowie die dezentrale Struktur informeller Netzwerke eher die Differenziertheit nationaler Frauenbewegungen unterstreichen, geht Holthaus von einer internationalen Frauenbewegung aus, die neben internationalen Netzwerken auch nationale Frauenorganisationen und konkrete Drehpunktpersonen umfaßt. Die Organisationsstrukturen der diversen Frauenorganisationen sind zumindest zum Teil den Anforderungen der Vereinten Nationen an die Teilnahme an internationalen Konferenzen sowie den Richtlinien unterschiedlicher Förderinstitutionen geschuldet. Holthaus stellt einen engen Zusammenhang zwischen dem UN-Konferenzgeschehen und der Entstehungsgeschichte einer internationalen Frauenbewegung fest. Erst die Kommunikation und die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Frauenbewegungen im Vorfeld und im Verlauf dieser Konferenzen hat die Einsicht gefördert, daß Frauen weltweit - auch über die Konfliktlinien zwischen den Frauenorganisationen der westlichen Industrienationen und der südlichen Länder hinweg - mehr eint als trennt. Gleichzeitig wuchs die Erkenntnis, daß die globalen Probleme Ökologie, Entwicklung, Menschenrechte, Armut etc. unlösbar mit frauenspezifischen Fragestellungen verknüpft sind. Desweiteren hat die durch UN-Konferenzen geförderte Konzentration auf Lobbying-Strategien dazu geführt, daß sich viele internationale Frauennetzwerke der Auseinandersetzung mit und der Beeinflussung der Politik internationaler Regierungsorganisationen verschrieben haben und dabei ihre Rückbindung an die Basis eingebüßt haben. Holthaus fordert in diesem Zusammenhang den Einsatz nationaler Frauenbewegungen für eine stärkere Transparenz und Demokratisierung der Entscheidungs- und Verhandlungsprozesse in internationalen Bewegungsnetzwerken.
Herbert Kitschelt: Demokratietheorie und Veränderungen politischer Beteiligungsformen Zum institutionellen Design postindustrieller Gesellschaften FJNSB, Seiten 61-69
Herbert Kitschelt diskutiert in seinem Essay Probleme eines in Dichotomien erstarrten demokratischen Denkens. Der binäre Schematismus normativer Demokratietheorie - entweder partizipative Demokratie oder Elitendemokratie - geht nicht nur empirisch-analytisch an der Vielfalt demokratischer Prozesse in "real existierenden" Demokratien vorbei. Er blendet auch normativ die Rationalitäts- und Zielkonflikte aus, die mit der Wahl eines demokratisch- institutionellen Designs von Willensbildung und Entscheidungsfindung verbunden sind. Persönliche Wahlmöglichkeiten zwischen Alternativen (Freiheit), soziale Gleichheit und die Zivilität des politischen Verkehrs lassen sich als substantielle Gütekriterien ebensowenig spannungsfrei verbinden wie die prozessualen Gütekriterien von Effektivität, Repräsentativität undf Innovativität politischen Entscheidens. So müssen sich beispielsweise die europäischen Verfechter direkt-demokratischer Verfahren im Lichte amerikanischer Erfahrungen mit dem Problem konfrontieren, daß politische Dezentralisierung und plebeszitäre Demokratie - dort von der politischen Rechten verstärkt eingefordert - die ressourcenstarken Bevölkerungsschichten stärken. Direkt-demokratische Verfahren tragen in den USA zur sozialen Disparität von Lebenschancen und effektiver politischer Beteiligung bei. Angesichts derartiger Zielkonflikte verbietet sich die Rede von einer demokratischen Patentlösung als naives Wunschdenken. Der Vergleich zwischen unterschiedlichen demokratischen politischen Systemen - Mehrheitsdemokratien mit Parteien als dominanten politischen Akteuren, konsensuellen Demokratien mit dem dominierende Zusammenspiel von Parteien und starken Interessenverbänden sowie pelbeszitären Demokratien, in denen soziale Bewegungen eine wesentliche Rolle spielen - fördert die Stärken und Schwächen der jeweiligen institutionellen Designs demokratischer Entscheidungsprozesse zu Tage. Viele politische Systeme kombinieren vor dem Hintergrund thematisch ausdifferenzierter Entscheidungsmaterien und einer zunehmenden Partikularisierung von Interessenlagen Elemente aller drei Demokratieformen. In fortgeschrittenen kapitalistischen Demokratien läßt sich eine thematische Ausdifferenzierung politischer Beteiligungs- und Entscheidungsformen um Parteien, Interessengruppen und sozialen Bewegungen sowie eine Tendenz zur Ausbildung "gemischter" demokratischer Entscheidungsmuster feststellen. Sowohl die klassische partizipative Demokratietheorie als auch die realistischen Theorien demokratischer Elitenkonkurrenz verfehlen diese Vielfalt politischer Beteiligungsformen. Pulsschlag Der Themenschwerpunkt findet seine Ergänzung durch den Pulsschlag. Jai Sin Pak beschreibt die internationale Kampagne von Frauen für Wiedergutmachung japanischer Kriegsverbrechen an koreanischen Zwangprostituierten. Kathrin Finkbeiner stellt die Arbeit des ComLink/apc (Association for Progressive Communication) als internationales Computernetzwerk für NRO vor und Heike Walk/Achim Brunnengräber referieren die Ergebnisse einer internationalen Fachtagung zu Netzwerken von NRO.