Welcher Zusammenhang besteht zwischen sozialem Handeln und politischem Lernen? Diese Frage gewinnt in den Diskussionen einer politischen Bildung, die auf der Suche nach einer Wiedergewinnung des Politischen ist, zunehmend an Bedeutung. Die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der neuen sozialen Bewegungen ist daher sowohl hinsichtlich ihrer Binnen- als auch ihrer Außenwirkungen von besonderem Interesse: Zum einen stellen sie als Orte politischer Sozialisation einflußreiche Lernzusammenhänge für zahlreiche engagierte Menschen dar. Zum anderen haben sie einen wesentlichen Anteil an der Liberalisierung und Demokratisierung der alten Bundesrepublik von einer "verordneten" zu einer "erstrittenen" Demokratie. Ostdeutsche Bürgerbewegungen haben 1989 den Zusammenbruch des autoritären Parteienstaates eingeleitet und Impulse für politische Lernprozesse gegeben, die möglicherweise ihre Wirkung in Ostdeutschland erst voll entfalten werden. Die Beiträge des vorliegenden Forschungsjournals bieten neben theoretischen Reflexionen über den Zusammenhang von sozialem Handeln und politischem Lernen eine Analyse von Organisation, Konzepten, Zielsetzung und Formwandel (selbstorganisierter) politischer Bildungsarbeit im Umfeld der neuen sozialen Bewegungen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei auch der reformierten grün-nahen Heinrich-Böll-Stiftung zu. Mit Bezug auf die didaktischen Zielsetzungen einer kritisch-emanzipatorischen politischen Bildung erörtert Bernhard Claußen konzeptionelle Anforderungen und Probleme der Handlungs- und Lebensweltorientierung politischen Lernens. Er betont, daß die Einrichtungen politischer Bildung gefordert sind, sich als Orte einer lust- und gehaltvollen Auseinandersetzung mit Politik zu profilieren. Sie müssen sich als ein von Handlungszwängen freies, sozial-, gruppen- und themenübergreifendes Organ demokratischer Streitkultur entfalten. Angesichts der Phantasielosigkeit und Erschöpfung der traditionellen Politik, so Leo Jansen, muß das institutionalisierte Feld politischer Bildung die ausgetretenen Pfade verlassen. Der Autor rekapituliert die bisherigen Erfahrungen politischer Bildungsarbeit in regionalen Runden Tischen und Netzwerken. Ihr enger Handlungs- und Erfahrungsbezug gibt Hinweise auf zukünftige Anforderungen an politische Bildung als spezifische Praxis politischen Lernens. Maria Icking gibt einen Überblick über die Geschichte der grün-nahen Stiftungen und die Entwicklung von Praxis und Konzeptionen ihrer politischen Bildungsarbeit. Sie untersucht zudem die Zielsetzungen, den Prozeß sowie den aktuellen Stand der Stiftungsreform. Icking geht dabei insbesondere auf die Probleme einer umfassenden Organisationsreform ein, die sich dem Leitbild einer 'unbürokratischen Organisation' verpflichtet sieht. Sie skizziert die zukünftigen Aufgaben einer grün-nahen Stiftung als politischer Dienstleister für Akteure der Zivilgesellschaft. Martin Beyersdorf analysiert die Entwicklung der etwa 200 selbstorganisierten Bildungsprojekte aus dem Umfeld der neuen sozialen Bewegungen, die sich im 'Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen' zusammengeschlossen haben. Untersucht werden Berufsverständnis und Motive der Mitarbeiter, die Entwicklung der Themen und Angebote ihrer Bildungsarbeit, Finanzierung, Arbeitsformen und Didaktik sowie die AkteurInnen und TeilnehmerInnen der Bildungsarbeit. Im vorliegenden Themenheft werden die Hauptbeiträge durch die Rubrik 'Pulsschlag zum Thema' ergänzt, in der u.a. Johannes Kandel Ergebnisse eines Bildungsprojekts der Friedrich-Ebert-Stiftung (Lernen für Demokratie) beschreibt, Gisela Notz Frauennetzwerke in der politischen Bildung untersucht und Ulrich Pfister die 'Tu-was-Bewegung' als eine neue Form bürgerschaftlichen Engagements präsentiert.
Redaktion: Ludger Klein