Auf eine Lähmung und Erstarrung des Politischen reagieren lauter werdende Forderungen nach Entschlossenheit, Handlungswillen und Führungskraft der politischen Eliten. Männliche Attribute wie das einer gewissen Härte steigern sich bis zum Lob einer neuen Rücksichtslosigkeit und eines Mutes, über ökologische Folgen hinwegzuschauen und auch einmal sozial gleichgültig sein zu können. Die Rede von den energischen Eliten läßt die übrigen Mitglieder der Gesellschaft als die weniger Schnellen, Flexiblen, Innovativen hinter sich und fordert Anpassungsbereitschaft ohne große Überlegungen darüber, warum von ihnen Akzeptanz und Folgebereitschaft erwartet werden dürfen. Die alte Entgegenstellung von Elite und Masse erfährt eine Renaissance, emotionale Grundlagen der Politik werden unhinterfragt und instrumentell in den Dienst genommen.
Das Themenheft 3/1997 des Forschungsjournals analysiert die Zusammenhänge von Macht, Masse und Emotionen. Helmut König bilanziert die Geschichte des Massenbegriffs und fragt nach der Zukunft des Massethemas. Kurt Lenk weist auf neue Konjunkturen des Elitedenkens hin, die den Diskurs der Masse am Leben halten. Bert Klandermans analysiert die Bedeutung kollektiver und sozialer Identität für soziale Bewegungen,Identität und Protest. Aus Sicht der Frauenforschung plädiert Birgit Sauer für eine Politologie der Emotionen und skizziert deren Fragestellungen. Oliver von Wersch analysiert aus ideeengeschichtlicher Sicht den Übergang von der Massenpsychologie zur Theorie des kollektiven Verhaltens im Werk Robert E. Park's, des Inspirators der Chicago School of Sociology.
Aktuelle Analysen jenseits des Themenschwerpunktes beleuchten die Infrastruktur des Anti-Castor-Protestes (Felix Kolb) und die Rolle der Medien für die Arbeit von Nicht-Regierungsorganisationen (Achim Brunnengräber). Die Entwicklung des "KirchenVolksbegehrens" zur "KirchenVolksbewegung" diskutiert Christian Weisner. Gottfried Oy fragt nach Wandlungsprozessen linker Medienpolitik und des Konzepts der "Gegenöffentlichkeit" und Hubertus Knabe wirft einen Blick auf die zu sichernden ostdeutschen Archivbestände über die frühe Bürgerrechtsbewegung der DDR. Im Heft finden sich zudem zahlreiche Projektdarstellungen und Tagungsberichte, u.a. zu Nichtregierungs-Organisationen, Rechtsextremismus und Menschenrechten.