Einwanderung und die politische wie soziale Integration der Zuwanderungsgruppen in ihren Aufnahmeländern bilden die beiden Seiten des Themas Migration. Berührt werden hier grundsätzliche Fragen des Staatsrechts, der Demokratie und der politischen Kultur, von Bevölkerungsentwicklung, Alterssicherung und wirtschaftlicher Entwicklung, aber auch die Frage der Grenzen nationalstaatlicher Regelungen in Europa.
Das Thema Einwanderung umfasst viele inhaltliche Facetten. Ausgesprochen nachdenklich stimmte die Anfang der 1990er Jahre aufgeheizte Asyldebatte. Wir erinnern uns, dass zu dieser Zeit nicht die rechte Gewalt gegen Asylsuchende, sondern die Opfer der Gewalt den Anlass zum Nachdenken über einen ‚Staatsnotstand‘ gaben[1]. Nicht minder prekär war und ist die Debatte um Zuwanderung von Flüchtlingen, von ‚Illegalen‘ als einem Problem der Grenzkontrolle und innerer Sicherheit. Darüber hinaus bilden Fragen von rechtlich besser gestellten Migrantengruppen der Aussiedler und den Familienangehörigen der in Deutschland lebenden Migranten bis zu den Arbeitsmigranten - je nach Bildung und Status entweder willkommen à la ‚Greencard‘ oder abgelehnt - einen weiteren Aspekt. Nicht zu vergessen sind die öffentlich zumeist ausgeblendeten Rückwanderer. Das Thema Integration umfasst Fragen der sozialen Ungleichheit, der ethnischen Segregation, der Bildungspolitik, der Familienpolitik[2] und nicht zuletzt der politischen Kultur.
Beide Themen werden oftmals nicht hinreichend unterschieden, häufig hoch emotional und dadurch verkürzt debattiert. Die Angst vor Zuwanderung und die Gewalt gegen ‚Fremde‘ im eigenen Land deuten auf eine verzerrende Engführung der öffentlichen Problemwahrnehmung hin, die notwendige Differenzierungen erschwert. Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit sind das primäre Mobilisationsthema der rechten Parteien und Bewegungen und reichen bis in die Mitte der Gesellschaft.
Das vorliegende Themenheft leistet einen Beitrag zur notwendigen Differenzierung der Diskussion. Es legt den inhaltlichen Schwerpunkt auf Fragen der politischen und kulturellen Integration von Migranten und Migrantinnen. Dabei werden Fragestellungen und analytische Instrumente der Bewegungsforschung für die Integrationsdebatte fruchtbar gemacht - sei es im Hinblick auf politische Gelegenheitsstrukturen für die politische Integration von Migranten oder auf die politische Mobilisierung von Bewegungen gegen Rassismus und für die Anliegen von Migranten, sei es mit Blick auf die Entwicklung von ethnischen civic communities und deren Rolle für die Entstehung von sozialem Kapital oder mit Blick auf die Privilegierung bestimmter Migrantengruppen als Folge vergangenheitspolitischer Gelegenheitsstrukturen (eine hierzulande nicht tabufreie Diskussion).
Im Zentrum des Heftes stehen europäisch vergleichende Beiträge zu nationalen Integrationspolitiken (Niederlande, Großbritannien, Deutschland). Ein Beitrag zur politischen Mobilisierung von europäischen Antirassismusbewegungen gibt Auskünfte über die Auswirkungen einer europäischen Mehrebenenpolitik auf soziale Bewegungen.
Bevor wir auf den analytischen Mehrwert der hier versammelten Forschungsansätze und auf zentrale Untersuchungsergebnisse eingehen, möchten wir einen kurzen Blick auf den politischen Kontext werfen, in dem dieses Themenheft zu verorten ist. Die Migrationsdebatte ist in der Bundesrepublik deutlich in Bewegung geraten. Der frisch gekürte Bundespräsident Johannes Rau machte in einer Rede direkt nach seiner Wahl als Bundespräsident deutlich, dass er sich als „Vertreter aller Deutschen, insbesondere derjenigen, die immer noch keinen Pass haben“ versteht. Die rot-grüne Bundesregierung hat zu Beginn ihrer Amtszeit demonstriert, dass sie es mit einer Reform der Migrationspolitik ernst meint. Mit der angekündigten Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft wollte sie die Fixierung auf das ius sanguinis, eines an ethnischen Homogenitätskriterien orientierten Staatsrechts, aufbrechen und Elemente des ius soli einführen. Nunmehr sollte das Territorialitätsprinzip und das Denken in Kategorien der politischen Gemeinschaft, des ‚demos‘, in den Vordergrund treten.
Damit wurden erste politische Schritte und rechtliche Konsequenzen einer Anerkennung der Bundesrepublik als ein Einwanderungsland in Aussicht gestellt. Diese Einsicht wurde in der Ära Kohl bewusst vermieden. Teile der Union - allen voran CSU-Chef Edmund Stoiber und der jetzige Hessische Ministerpräsident Roland Koch, dem seine ethnonationale Unterschriftenkampagne gegen die Staatsangehörigkeitsreform Ende 1998 zum knappen Wahlsieg verhalf - mobilisierten erfolgreich die populistischen Ängste vor weiterer Zuwanderung.
In einer ersten Reaktion der Bundesregierung kam es daraufhin im Februar 1999 zu einem eiligen Kompromiss, dem von der FDP vorgeschlagenen sog. ‚Optionsmodell‘, das die Entscheidung für eine Staatsangehörigkeit in einem bestimmten Alter vorsieht. Auch wenn dieses zum 1. Januar 2000 rechtlich wirksam gewordene Modell verfassungsrechtlich bedenklich sein mag, so hat sich mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts doch ein Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik vollzogen. Der federführende Innenminister Otto Schily begleitete diesen Schritt zwar vorsorglich mit dem Hinweis, für ein neues Zuwanderungsgesetz bestehe kein Bedarf. Für Beobachter wurde damit jedoch klar: „Der zweite Schritt blieb zunächst aus - die Erarbeitung einer umfassenden, integralen und langfristig angelegten Migrations- und Integrationskonzeption mit den dafür nötigen gesetzlichen und institutionellen Veränderungen.“ (Bade/Münz 2000b: 7)
Die Bundesregierung beschloß abzuwarten und wollte diese Diskussion nicht mehr in der laufenden Legislaturperiode führen. Doch die von Bundeskanzler Gerhard Schröder in Absprache mit der Wirtschaft eingeführte ‚Green Card‘ für Computerfachleute löste ungewollt eine breite Debatte zur Migrationspolitik aus, die die Bundesregierung unter Handlungsdruck setzte[3]. Die Debatte um den Begriff der ‚Leitkultur‘ hat die Frage nach dem Umgang mit kultureller Differenz in den Mittelpunkt gerückt und damit den Richtungswechsel vom ius sanguinis zum ius soli in seinen Konsequenzen thematisiert: Die Einführung des ius soli ist jedoch für sich genommen nur ein erster Schritt. Sie könnte entweder zu einem auf Assimilation ausgerichteten Republikanismus nach französischem Vorbild oder zu einer multikulturellen Integrationspolitik nach dem Vorbild Großbritanniens und der Niederlande führen. In welche Richtung sich Deutschland bewegt, ist derzeit noch offen. Diese Frage wird künftig die politische Agenda maßgeblich bestimmen. Die in diesem Heft vorgestellten Beiträge zu anderen europäischen Ländern bieten für diese Diskussion lehrreiches Material.
Gespannt wartet nun die politische Öffentlichkeit auf die für Mitte des Jahres angekündigten Empfehlungen der von Bundesinnenminister Schily im Juli 2000 eingesetzten Einwanderungskommission. Deren Vorsitzende Rita Süssmuth steht in der eigenen Partei unter Beschuss; die Migrantenverbände weisen darauf hin, dass sie nicht angemessen in dieser Kommission vertreten sind[4] und die Wissenschaftler befürchten aufgrund der korporatistischen Zusammenstellung der Kommission die Verwässerung der Expertise.
Aufgrund aktueller hitziger Debatten zwischen Regierung und Opposition scheint die rot-grüne Regierung Diskussionen um ein weitreichendes Einwanderungsgesetz aus dem Weg zu gehen. Sie bemüht sich um einen Konsens mit der Opposition. Dieser ist sicherlich eine zentrale Voraussetzung für die dauerhafte Regelung der Einwanderungs- und Integrationspolitik. Es besteht freilich das Risiko, dass eine zu stark ausgeprägte Konsensorientierung zu einer Verzögerung und Verwässerung notwendiger Reformen führt. Dies wäre nach dem langjährigen Stillstand in diesem Politikfeld sehr problematisch. Die Suche nach einem migrations- und integrationspolitischen Konsens darf nicht zu einer Beschränkung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner führen. So würde der Stillstand zementiert. Vor diesem Hintergrund hat der kleine Koalitionspartner vorsorglich seine einwanderungspolitischen Essentials öffentlich zu Protokoll gegeben - dazu gehört insbesondere die Ablehnung der Einbeziehung des Asylrechts in eventuelle Einwanderungsquoten.
Kurz skizziert ist dies der politische Kontext, in dem dieses Themenheft interveniert. Dies geschieht nicht in erster Linie über Beiträge zu einer normativen Debatte, sondern ganz bewußt mit vorwiegend empirisch-analytischen Beiträgen, in deren Zentrum der Vergleich nationalstaatlicher Integrationspolitik ausgewählter europäischer Länder steht.
Die Beiträge des Heftes verbinden zwei theoretische Fragestellungen, die auch in der breiteren Debatte über die politischen Implikationen von Migration zentral sind. Zum einen geht es vor dem Hintergrund von in Folge von Migration entstandenen ethnischen und kulturellen Minderheiten um die nationalstaatlich verfaßte Demokratie und um die Ausgestaltung der Staatsbürgerschaft. Hier steht die Frage im Mittelpunkt, ob und unter welchen Bedingungen sich kultureller Pluralismus mit der für das Funktionieren moderner liberaler Demokratien notwendigen sozialen Kohäsion und Solidarität in Einklang bringen läßt. Der nationalstaatliche Vergleich macht deutlich, wie sich die Gestaltung der Einwanderungs- und Integrationspolitik in verschiedenen Ländern als eine politische Gelegenheitsstruktur für verschiedene Einwanderergruppen auf das politische Verhalten von Migranten und ihr Verhältnis zur nationalen Demokratie auswirkt.
Die Bedeutung des Nationalstaats für die Steuerung von Einwanderung und Integration wird zunehmend in Zweifel gezogen. Die zweite verbindende Perspektive der Beiträge ist denn auch die Frage, ob der Nationalstaat überhaupt noch die relevante Bezugskategorie für die Analyse von Einwanderung und Integration darstellt, oder ob er - im Sinne postnationaler Entwicklungsschübe der Globalisierung - weitgehend von supranationalen Regimen und Normen sowie transnationalen Gemeinschaftsbildungen abgelöst worden ist (SASSEN 1991; SOYSAL 1994).
Thom Duyvené de Wit und Ruud Koopmans greifen in ihrem vergleichenden Beitrag zur politischen Mobilisierung von Einwanderern und Minderheiten in Deutschland und den Niederlanden beide Fragen explizit auf. Auf einer theoretischen Grundlage, die die klassische, stark institutionell geprägte Konzeption von politischen Gelegenheitsstrukturen um ‚diskursive Opportunitäten‘ in der Öffentlichkeit erweitert, kommen sie zu folgender Erkenntnis: Entgegen der ‚postnationalen‘ Hypothese haben die unterschiedlichen Integrationsmodelle der beiden Länder große Auswirkungen auf die politische Aktivität von Minderheiten und ihr Verhältnis zur nationalen Demokratie. Das seit kurzem in Deutschland ernsthaft hinterfragte ethnische Modell der Staatsbürgerschaft, das Einwanderer und ihre Nachkommen als ‚Ausländer‘ definiert, hat dazu geführt, dass sich die Migranten in Deutschland viel stärker an der Politik ihrer Herkunftsländer orientieren. Zugleich beschäftigen sie sich in viel geringerem Maße mit Fragen ihrer Rechte und der Integration im Wohnland, als dies in den Niederlanden der Fall ist. So gesehen ist die starke Ausprägung von ‚Ausländerextremismus‘ und ‚Fundamentalismus‘, die in der deutschen Diskussion oft als ein Beispiel für die Bedrohung der liberalen Demokratie durch Einwanderung angeführt wird, zu großen Teilen ein ‚hausgemachtes‘ Problem der bis dato restriktiven deutschen Integrationspolitik. Die Autoren betonen, dass Deutschland positive wie auch negative Lehren aus den niederländischen Erfahrungen ziehen kann. Die Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechts und die damit einhergehende Neudefinition der deutschen Nationalidentität - so die Prognose -, führt zu einer Abnahme der Herkunftslandbindung der Migranten in Deutschland und steigert ihr Interesse an einer Ausdehnung der Integration und an einer Verbesserung ihrer Rechte in Deutschland. Nicht zuletzt werden hierbei kulturelle Forderungen eine große Rolle spielen. Die Niederlande zeigen, wie eine Politik des kulturellen Pluralismus die politische Integration der Einwanderern entscheidend voran bringen kann. Allerdings steht die Betonung kultureller Rechte in einem Spannungsverhältnis zur sozialen und wirtschaftlichen Integration, für die Kenntnisse der Mehrheitskultur und -sprache bekanntermaßen unabdingbar sind.
Die Daten von Duyvené de Wit und Koopmans zeigen aber auch, dass es wichtige Unterschiede in der politischen Mobilisierung verschiedener ethnischer Gruppen gibt, die nicht immer auf politische Gelegenheitsstrukturen zurückzuführen sind. So beschäftigen sich Einwanderer aus der Türkei in beiden Ländern (obwohl ausgeprägter in Deutschland) viel stärker mit der Politik ihres Herkunftlandes als andere Migrantengruppen. Dieser Aspekt wird im Beitrag von Meindert Fennema und Jean Tillie erweitert: Sie vergleichen die politische Partizipation und das Vertrauen in lokale politische Institutionen von vier Einwanderergruppen in Amsterdam. Ihr theoretisches Fundament ist das Konzept des Sozialkapitals, das in jüngster Zeit vor allem von Robert Putnam neu formuliert wurde. Im Einklang mit dessen Hypothese zeigt sich, dass die politische Partizipation und das politische Vertrauen einer Minderheitengruppe umso größer sind, je mehr sie über eigene ethnische Organisationen verfügt und je mehr diese Organisationen untereinander vernetzt sind. Interessanterweise sind es die Türken, die sowohl die stärkste ‚ethnische Gemeinschaft‘ als auch die höchste Partizipation und das höchste Vertrauen in lokale politische Institutionen aufweisen. Zum Teil liegt ihre Beteiligung an Kommunalwahlen sogar über dem Niveau der ‚einheimischen‘ Niederländer! Die politische Brisanz dieses Befundes liegt darin, dass die Organisationen, die die starke türkische ethnische Gemeinschaft tragen, mehrheitlich von dem Typus sind, der in der politischen Diskussion oft als integrationsfeindlich (‚Parallelgesellschaften‘!) betrachtet wird: Sportvereine auf ethnischer Basis, Moscheevereine, aber auch herkunftslandbezogene politische Organisationen bilden die Knotenpunkte der türkischen Gemeinschaft. Das Verhältnis zwischen politischer Integration in der nationalen Demokratie des Wohnlandes und politischer Verbundenheit mit dem Herkunftsland ist demnach, so Fennema/Tillie, kein Nullsummenspiel. Die Türken stehen beispielhaft für eine Gruppe, die in beiden Bereichen einen hohen Partizipationsgrad aufweist, während die Amsterdamer Antillianer exemplarisch dafür stehen, dass eine schwache Bindung an das Herkunftsland nicht unbedingt eine gute Ausgangslage für die Integration in die Gesellschaft und Politik des Einwanderungslandes ist[5].
Auch im Beitrag von Jonathan Laurence geht es um einen Vergleich von Einwanderergruppen. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen steht jedoch die ‚Ungleichbehandlung‘ jüdischer und türkischer Migranten durch die deutsche Einwanderungs- und Integrationspolitik. Auf der Basis einer Fülle von zum Teil brisantem Interviewmaterial zeigt Laurence auf, wie im Rahmen der Wiedergutmachungspolitik jüdische Einwanderer, unabhängig von ihrer Sprache oder Herkunft, als Teil der ‚deutschen‘ Kultur definiert wurden und ihnen eine Reihe von Sonderrechten, einschließlich einer großzügigen staatlichen Förderung ihrer Religion, gewährt wurde. Im Gegensatz dazu werden türkische Einwanderer, einschließlich ihrer in Deutschland geborenen Nachkommen, von offizieller Seite oft als Fremdkörper in der deutschen Kultur wahrgenommen und wird ihrer islamischen Religion bisher die staatliche Anerkennung verweigert. Das, was im Bezug auf die eine Gruppe als erstrebenswert - ja sogar als nationales Staatsziel - gilt, nämlich die Förderung einer starken jüdischen Gemeinschaft mit starken kulturellen Rechten und einer blühenden religiösen Gemeinde, wird mit Blick auf die andere Gruppe oft als eine Bedrohung für die deutsche Demokratie dargestellt, die zu gefährlichen ‚Parallelgesellschaften‘ führt. Zurecht wirft Laurence daher die Frage auf, ob sich die Wiederherstellung politischen Vertrauens in den Umgang Deutschlands mit ethnischen und kulturellen Minderheiten ausschließlich auf den Wiederaufbau der jüdischen Gemeinschaft stützen kann. Was ist der Wert eines solchen, begrüßenswerten Umgangs mit der jüdischen Gemeinde, wenn dieser unzureichend übersetzt wird in den Umgang mit neuen Minderheiten hier und heute und zu zwei Klassen von Einwanderern führt? Die einen sind aus historischen Gründen erwünscht und privilegiert, die anderen sind unerwünscht oder werden doch zumindest als problematisch betrachtet.
Mit dem Beitrag von Paul Statham (er ist wie auch der Beitrag von Duyvené de Wit und Koopmans im Kontext des ‚MERCI-Projektes‘ - Mobilisation on Ethnic Relations, Immigration and Citizenship - entstanden), wechseln wir die Perspektive hin zur Mobilisierung für die Interessen von Einwanderern und Minderheiten aus den Reihen der Mehrheitsbevölkerung. Antirassistische und Pro-Migrantenmobilisierungen stellen ein interessantes theoretisches Problem dar, da es sich hier um (zumindest auf den ersten Blick) altruistische Bewegungen handelt, von deren Erfolge die Teilnehmer nicht selbst profitieren. Statham fragt sich, warum es in Großbritannien nicht zu einer breiten Bewegung wie in Deutschland und Frankreich gekommen ist, und warum antirassistische und Pro-Migranten-Gruppen sich in Großbritannien oft voneinander abgegrenzt haben. Einen wichtigen Grund für diesen Befund sieht er in dem starken Kontrast zwischen einer sehr liberalen und multikulturellen Politik gegenüber ansässigen ethnischen Minderheiten und der stärken Abgrenzung Großbritanniens gegenüber neuen Einwanderern. In der Folge, so das Argument, „erkennen viele zivilgesellschaftliche Akteure ... die Chancen, dass sie sich selbst helfen können, wenn sie ethnischen Minderheiten helfen, und es gibt einen regelrechten Wettbewerb um staatliche Förderung. Im Gegensatz dazu sieht sich die Pro-Migrationsbewegung starker Opposition gegenüber, wobei ihr Hauptgegner der Nationalstaat selbst ist“. Wie Laurence in Bezug auf die Ungleichbehandlung von Juden und Türken in Deutschland, betont auch Statham, dass die entscheidenden politischen Gelegenheiten auf der Ebene des Nationalstaats angesiedelt sind. Transnationale Diskurse und Interventionen von supranationalen Institutionen spielen eine eher marginale Rolle. Während dieser empirische Befund durch die bisher vorgestellten Beiträge bestätigt wird, hinterfragen Hans-Jörg Trenz und Hartmut Behr in ihren Beiträgen die dominante Rolle des Nationalstaats bei der Regulierung von Einwanderung und Integration. Migrationsströme lassen sich immer weniger von nationalen Staaten im Alleingang kontrollieren und, so argumentiert vor allem Behr, Migration führt darüber hinaus zu einer Verstärkung transnationaler Formen von Gesellschaft, die sich nicht mehr rein nationalstaatlich regulieren und integrieren lassen. Behr fordert als „Alternative zum ‚nationalstaatlichen Paradigma‘ in der Migrationspolitik den konsequenten Ausbau „transnationaler Kooperationen unter Beteiligung staatlicher und nichtstaatlicher Akteure“ und die Fortentwicklung internationaler Regimebildung in diesem Feld. Trenz sieht im Rahmen des ‚Netzwerkregierens‘ in der Europäischen Union optimistisch stimmende Ansätze, dass sich auf supranationaler Ebene neue Gelegenheitsstrukturen für Protestmobilisierung herausbilden - möglicherweise weniger für klassische soziale Bewegungen als vielmehr für neuartige, vernetzte Lobbyorganisationen. Er räumt zwar die Gefahr einer Entkoppelung solcher eher elitären Lobbynetzwerke auf europäischer Ebene von der nationalen und subnationalen Basis ein, hält dies aber angesichts der Notwendigkeit einer Antwort 'von unten' auf die Verlagerung bisher nationalstaatlich gebundener Entscheidungskompetenzen für eher unwahrscheinlich.
Die Beiträge des Themenschwerpunkts gehen auf den Workshop ‚Migration und politische Mobilisierung in Deutschland und Europa‘ des Kongresses ‚Politische Partizipation und Protestmobilisierung im Zeitalter der Globalisierung‘ zurück, den der Arbeitskreises ‚Soziale Bewegungen‘ im Juni 2000 am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung durchgeführt hat. Wir danken der Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto-Brenner-Stiftung für die gewährte finanzielle Unterstützung. Durch sie - und die Unterstützung des WZB - wurden auch die Übersetzungen aus dem Englischen in diesem Heft möglich. Ausgewählte und überarbeitete Beiträge des Kongresses erscheinen im Frühjahr 2001 in zwei Bänden bei Leske+Budrich: Der von Ansgar Klein, Ruud Koopmans und Heiko Geiling herausgegebene Band ‚Globalisierung, Partizipation, Protest‘ enthält die Beiträge zum Themenfeld Migration und politische Mobilisierung (im vorliegenden Themenheft finden sich die gekürzten Versionen der Buchbeiträge von Behr, Laurence und Tilly/Fennema), zur Rolle sozialer Bewegungen im Globalisierungprozess sowie zu dessen Auswirkungen auf Prozesse kommunaler Partizipation.
Wir möchten abschließend auf den Call for Papers für eine Tagung des Forschungsjournals zum Thema ‚Internationale Aktionsnetzwerke - Chancen für eine neue Protestkultur?‘ im September 2001 sowie auf das Programm des Kongresses „Bürgerschaft, Demokratie und Öffentlichkeit in Europa‘ im Juli 2001 in Berlin hinweisen, der vom Arbeitskreis ‚Soziale Bewegungen der DVPW‘, dem Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen und dem WZB veranstaltet wird. Ausgewählte Beiträge des Kongresses erscheinen im Heft 4/2001 „Der EU-Koloss - demokratiefreie Zone?“ des Forschungsjournal.
Ansgar Klein/Ruud Koopmans/Peter Kuleßa, Berlin
Anmerkungen
- Interessant dazu ist die Untersuchung von Koopmans (1996). Er schließt seine Ausführungen „Asyl: Die Karriere eines politischen Konflikts“ mit dem bedenkenswerten Satz: „Für die Welle der Gewalt gegen Asylbewerber und Ausländer war wahrscheinliche beides notwendig: eine bereits mobilisierungsfähige rechte Jugendsubkultur, die noch auf der Suche nach einem medienwirksamen Thema war, das mit einer gewissen Sympathie in der Politik und Bevölkerung rechnen konnte, und eine polarisierte Debatte zwischen kompromissunfähigen Kontrahenten, die der radikalen Rechten ein solches Thema verschaffte.“ (Koopmanns 1996: 191).
- Der 6. Familienbericht der Bundesregierung zu „Familien ausländischer Herkunft in Deutschland“ macht deutlich, dass eine aktive, auf Eingliederung abzielende Politik bisher ausgeblieben ist.
- Bayern hat in Eigenregie eine ‚Blue Card‘ für ausländische Informatikspezialisten eingeführt, derzufolge die Aufenthaltsgenehmigung für die Dauer des Arbeitsvertrags gelten soll. Die Länder Hessen und Niedersachsen wollen nachziehen.
- Der Kommission gehören Vertreter der politischen Parteien, der kommunalen Spitzenverbände, der Gewerkschaften sowie Vertreter aus Wissenschaft, Kirchen- und Religionsgemeinschaften sowie Arbeitgeberverbänden an. Zu den Aufgaben der Kommission gehören Vorschläge zur Entkoppelung des Asylrechts von Einwanderung im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten, eine vorurteilslose Auseinandersetzung mit Zuwanderungsproblemen und die Formulierung einer neuen Politik, die den Aspekt einer besseren Steuerung in den Mittelpunkt stellt. - Parallel beruft die CDU eine eigene Kommission unter Vorsitz des saarländischen Ministerpräsidenten Müller (Vitt/Heckmann 2000: 277f.).
- Die von Fennema und Tillie für Amsterdam durchgeführte Analyse wird zur Zeit um eine Berliner Vergleichsstudie, unter Federführung von Ruud Koopmans am WZB, erweitert.