Die Reaktionen der Unionsparteien auf eine antisemitische Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann am Tag der deutschen Einheit machen deutlich: Antisemitische Einstellungen finden sich zwar auch bis in Führungskreise der konservativen Volkspartei, doch lehnt die politische Klasse in großer Mehrheit den Antisemitismus ab und ist nach wie vor bereit, dessen Tabuisierung energisch durchzusetzen.
Auch neonazistische Organisationen mit ihrer Bezugnahme auf die nationalsozialistische Rassenideologie und Antisemitismus müssen hierzulande mit erheblichem Sanktionierungsdruck und den Mitteln staatlicher Repression rechnen. Alleine in den 90er Jahren wurden auf der Grundlage des Vereinsverbotes ca. 300 ‚rechtsextremistische' Organisationen verboten. Steht also die Ächtung und Tabuisierung von Nationalsozialismus und Antisemitismus gerade in Deutschland nicht nur seitens eines ‚wehrhaften Staates', sondern auch im gesellschaftlichen Diskurs außer Frage, so beginnt das fremdenfeindliche Potential dort, wo gesellschaftliche Missstände (Arbeitslosigkeit, Lücken in Systemen der sozialen Sicherung, im Gesundheitswesen etc.) auf Belastungen durch Zuwanderung zurückgeführt und Ausgrenzungsdiskurse durch nationalistisch konstruierte Gruppenidentitäten munitioniert werden.
Sozialpsychologische Analysen des Rechtsradikalismus entkleiden diesen seiner oftmals stereotypen Verkürzung auf glatzköpfige jugendliche Gewalttäter und seiner Reduktion auf antisemitische Ausfälle. Ludger Klein und Bernd Simon weisen in ihrem Beitrag darauf hin, dass rechtsradikale Aktivisten ihre Gruppenzugehörigkeiten in zusammenhängenden Prozessen der Identifizierung und Abgrenzung ausbilden, denen letztlich vor allem das Erbe der nationalistischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts zugrunde liegt. Vor diesem Hintergrund wird es darauf ankommen, Ausgrenzungslogiken und -dynamiken politisch einzuhegen und wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Integrationsprozesse zu stärken.
Nicht nur die meisten, sondern auch die folgenschwersten der vom Staatsschutz als ‚rechtsextremistisch motiviert' eingestuften Gewalttaten sind auf eine fremdenfeindliche Zielsetzung zurückzuführen: Während die "klassisch rechtsextremistischen" Aktivitäten vor allem symbolische Aktionen umfassen (siehe Thomas Grumke in diesem Heft), "sind bei fremdenfeindlichen Aktionen seit Anfang der neunziger Jahre Dutzende von ansässigen Ausländern und Asylbewerbern getötet und viele Hunderte verletzt worden" (Koopmans 2001: 48). Zudem ist die Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten in Deutschland im westeuropäischen Vergleich hoch. Und schließlich findet diese Zielsetzung vor allem in bestimmten ostdeutschen Regionen die Zustimmung einer kompakten Bevölkerungsminderheit (Lynen von Berg/Stender/Roth 2002). Fremdenfeindlichkeit und die daran anknüpfende Gewalt stellt daher den wohl bedeutendsten Anknüpfungspunkt und Mobilisierungszugang für rechtsradikale Organisationen und Netzwerke in die Mitte der Gesellschaft dar.
Das ‚rechte' Mobilisierungspotential in der Bevölkerung hat gewiss weniger mit Neonazis zu tun, als dass es vielmehr mit populistischen Parolen bewegt und an die Wahlurnen gebracht wird. Kernthema des Rechtspopulismus, so Frank Decker in diesem Heft, ist die ‚Zuwanderung', die vermeintliche Bedrohung durch ‚Fremde'/‚Ausländer'. Die rot-grüne Bundesregierung hat das hier gegebene Mobilisierungspotential schmerzhaft schon zu Beginn ihrer Tätigkeit erfahren müssen und verzichtet seitdem in einer beinahe schon ängstlichen Weise auf alle Initiativen im Bereich des Zuwanderungsrechtes, die erneut Anlass zu rechtspopulistischen Mobilisierungen gegen könnten. Die mutige, aber schlecht vorbereitete Initiative der rot-grünen Regierung zur ‚Doppelten Staatsbürgerschaft' scheiterte jedoch zu Beginn ihrer ersten Legislaturperiode am Widerstand der Opposition. Sie kostete dem damaligen hessischen SPD-Spitzenkandidaten Hans Eichel zudem den Wahlsieg, nachdem sie von Roland Koch mit einer bemerkenswert resonanzstarken Unterschriftensammlung gekontert wurde. Mit ‚geeignetem' politischen Führungspersonal und organisatorischer Geschlossenheit, so Deckers Einschätzung, könnte auch im Einwanderungsland Deutschland eine rechtspopulistische politische Partei Fuß fassen und mehr als nur singuläre Erfolge erzielen.
Mitte der 90er Jahre hat das Forschungsjournal sich intensiv an der Debatte beteiligt, ob wir in Deutschland von rechten sozialen Bewegungen auszugehen haben (Forschungsjournal NSB 1994, Jg. 7, Heft 4). Diese Frage kann mittlerweile als beantwortet gelten: "Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der gegenwärtige Rechtsradikalismus in weiten Teilen den Kriterien ... einer sozialen Bewegung entspricht. Er hat sich als Bewegung - und nicht etwa nur als Einstellungssyndrom oder als eine parteiförmige gesellschaftliche Kraft - etabliert und wird auf absehbare Zeit nicht verschwinden. Somit bietet es sich an, ihn mit Konzepten und Methoden der Bewegungsforschung zu untersuchen. Damit soll kein Alleinvertretungsanspruch verbunden werden. Die nach unterschiedlichen Theorien, Fragestellungen und Zugangsweisen ausdifferenzierte Bewegungsforschung stellt jedoch ein fruchtbares Anregungs- und Analysepotential bereit, das herkömmliche Ansätze der Forschung zum Rechtsradikalismus ergänzt. Nicht zuletzt bietet die bewegungssoziologische Perspektive auch Chancen für eine stärkere integrative Sichtweise und Interpretation des Rechtsradikalismus, die ihren Gegenstand nicht nach ihm äußerlichen Kriterien wie legal/illegal oder parteiförmig/nicht parteiförmig aufteilt und damit wesentliche Zusammenhänge verfehlt" (Rucht 2002: 84).
Armin Pfahl-Traughber rekapituliert in seinem Beitrag die damalige Diskussion und analysiert das Bewegungspotential von NPD, Neonazis und Skinheads. Zwar sind Anzeichen für die Bewegungspotentiale rechter Organisationen, Gruppen und Szenen gegeben, doch vermögen deren Aktivitäten "erkennbar nicht ... ein größeres Bevölkerungspotential für sich zu mobilisieren" und scheinen in der Konstituierungsphase zu einer rechten sozialen Bewegung zu stagnieren. Fabian Virchow sieht dagegen in seiner Analyse der "Demonstrationspolitik des Neofaschismus in Deutschland" Anhaltspunkte für eine zunehmend erfolgreiche Bewegungsmobilisierung. Jenseits von Grundsatzdebatten wird es zur Klärung dieser widersprüchlichen Aussagen wohl vor allem auf eine gesättigte sozialwissenschaftliche Empirie ankommen, deren praktische Umsetzungsprobleme in diesem schwierigen Forschungsfeld freilich nicht von der Hand zu weisen sind.
Die politische Aufmerksamkeit für Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt verläuft in Konjunkturkurven, die vor allem von den Medien bestimmt werden. Dabei spielen spektakuläre Gewalttaten eine besondere Rolle. Nach Rostock-Lichtenhagen und Mölln in den frühen 90ern wurde die politische Handlungsbereitschaft erst wieder mit einem Bombenanschlag in Düsseldorf (Juli 2000), bei dem mehrere Zuwanderer verletzt wurden, geweckt. Der Themenkreis bekam wieder einen zentralen Stellenwert auf der politischen Agenda: Im Jahr 2000 wurden größere Förderprogramme (civitas, entimon) der Bundesregierung sowie der europäische Programmverbund xenos aufgelegt, um mit einer Vielzahl von Maßnahmen gezielt zivilgesellschaftliche Initiativen und Projekte gegen Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt zu unterstützen.
In der Tat dürfen zivilgesellschaftliche Alternativen zur staatlichen Repression ein größeres Gewicht beanspruchen. Es bestehen, so Michael Minkenberg in diesem Heft, erhebliche Zweifel hinsichtlich der Effizienz und Tauglichkeit repressiver staatlicher Maßnahmen gegen Rechtsradikalismus und Gewalt. Diese ‚alten Wege' sind zuweilen unvermeidbar, bewirken jedoch oftmals eher ein Anwachsen von Militanz und Gewaltbereitschaft und eine Verhärtung der Positionen und drohen bei Überspannung gar in "gesellschaftliche Desintegration" umzuschlagen. Hingegen können Maßnahmen der "sozialen Ächtung" und "Gegenmobilisierung" seitens zivilgesellschaftlicher Akteure den "Handlungsspielraum rechtsradikaler Parteien und Szenen einschränken, vor allem, wenn sie sich im unmittelbaren Umfeld der Gruppierungen bemerkbar machen" (Minkenberg).
Roland Roth und Anke Benack haben Anfang 2003 in einem bundesweit viel diskutierten Gutachten für den Gesprächskreis ‚Bürgergesellschaft und aktivierender Staat' der Friedrich-Ebert-Stiftung auf die Evaluationsdefizite der Programme gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit hingewiesen (Roth/Benack 2003). Ein Fachworkshop der Friedrich-Ebert-Stiftung im Mai 2003, der die Projektebene, die Förderinstitutionen und die wissenschaftlichen Beobachter zusammenführte, hat die Notwendigkeit und den weiteren Handlungsbedarf an zivilgesellschaftlichen Maßnahmen untermauert und vor diesem Hintergrund Möglichkeiten und Anknüpfungspunkte einer Programmverbesserung skizziert (Friedrich-Ebert-Stiftung 2003).
In diesem Heft formuliert Roland Roth inhaltliche, aber auch zuwendungspraktische Anforderungen für die künftige Förderung der Programme und erläutert auch den Bedarf an nachhaltiger Programmverstetigung: "Zivilgesellschaft ‚von oben' installieren zu wollen, ist eine logische Unmöglichkeit. Benötigt wird statt dessen eine Ermöglichungspolitik, die nicht auf kurzfristige Effekte setzt, sondern geduldig freiwilliges, am Gemeinwohl und an demokratischen Normen orientiertes bürgerschaftliches Engagement in einer Weise unterstützt, die dessen Eigensinn nicht aushöhlt."
Unstrittig erfordern die Ausgangsprobleme der Programme einen langen Atem, realistische Zielsetzung, aber auch eine gründliche Auswertung gemachter Projekterfahrungen. Unbedingt vermieden werden sollten Projektruinen und Rückschläge in der Sache. Um nachhaltige Programmentwicklung zu betreiben, müssen zunächst die Elemente aus den laufenden Programmen identifiziert werden, auf die auch künftig nicht verzichtet werden kann (regionale Schwerpunkte, Kompetenzzentren, pädagogische Formate und Curricula etc.). Thomas Grumkes Beschreibung der Arbeitsweise großer US-amerikanischer NGOs im Kampf gegen Rechtsradikalismus (siehe seinen Pulsschlag-Beitrag in diesem Heft) macht darauf aufmerksam, dass zivilgesellschaftliche Infrastrukturen sich dort aus eigener Kraft finanzieren. In Deutschland ist die nach wie vor dominierende Abhängigkeit zivilgesellschaftlicher Projekte und Organisationen von öffentlicher Förderung jedoch nicht kurzfristig zu überwinden. Politisch wird es daher im Jahr 2004 darauf ankommen, dass sich Bund, Länder und Kommunen über Kostenteilungen bei einer künftigen Programmfortsetzung verständigen und sich der Bund bei der Absicherung unabdingbarer Kernbedarfe nicht gänzlich zurückzieht. Erste Debatten etwa über das Modell einer Bundesstiftung werden bereits geführt.
Die Nachhaltigkeit von Projekten und Maßnahmen dürfte nicht zuletzt davon abhängen, dass das Thema Rechtsradikalismus einen Weg aus der politischen Nischen- und Randständigkeit findet. Als heroischer ‚Kampf gegen Rechts' kann dies kaum gelingen, aber vielleicht als Streit für mehr Demokratie und Toleranz. Das Forschungsjournal möchte mit diesem Themenheft auf die gesellschaftspolitischen Brisanz von Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt aufmerksam machen. Eine wohl kaum als abgeschlossen zu bezeichnende Mobilisierungsdynamik rechter sozialer Bewegungen, die Herausforderungen des Rechtspopulismus und die in die Mitte der Gesellschaft reichenden Ausgrenzungsdynamiken gegenüber Fremden machen das Zusammenwirken von Zivilgesellschaft und Staat erforderlich. Angesichts der immer deutlicher werden Unzulänglichkeiten repressiver Strategien kommt der Zivilgesellschaft in ihrem Einsatz für Toleranz und Demokratie eine zentrale Bedeutung zu.
Ansgar Klein (Berlin) und Ludger Klein (Sankt Augustin)
Literatur
- Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.) 2003: Für Demokratie und Bürgerengagement. Wie weiter mit den Programmen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit? - Ergebnisbericht zum Workshop des FES-Arbeitskreises "Bürgergesellschaft und aktivierender Staat" am 22.Mai 2003 in der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn (Manuskript)
- Koopmans, Ruud 2001: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland: Probleme von heute - Diagnosen von gestern. In: Leviathan, Jg. 29, Heft 4, 469-483.
- Lynen von Berg, H./Stender, W./Roth, R. 2002: Zivilgesellschaftliches Engagement und lokale Demokratieentwicklung als Rezepte gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Konzeption und Erfahrungsbericht von Miteinander e.V. In: Demirovic, A./Bojadzijew, M. (Hg.): Konjunkturen des Rassismus. Münster: Westfälisches Dampfboot, 312-329.
- Roth, Roland/Benack, Anke 2003: Bürgernetzwerke gegen rechts - Evaluierung von Aktionsprogrammen und Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, hgg. vom Gesprächskreis ‚Bürgergesellschaft und aktivierender Staat' der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
- Rucht, Dieter 2002: Rechtsradikalismus aus der Perspektive der Bewegungsforschung. In: Grumke, Th./Wagner, B. (Hg.): Handbuch Rechtsradikalismus. Personen - Organisationen - Netzwerke vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft. Opladen: Leske + Budrich, 75-86.