Zivilgesellschaftliche Organisationen sind aus Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungspolitik nicht mehr wegzudenken: Sie verleihen der Bevölkerung der sogenannten Dritten und Vierten Welt eine lautstarke Stimme auf UN-Konferenzen, setzen die politisch wenig prominenten Themen der Entwicklungszusammenarbeit und die sozialen und ökologischen Folgen der Industrialisierung immer wieder auf die politische und mediale Agenda, sie betreiben Lobbying bei den supranationalen Organisationen und sie sind nicht zuletzt Themenanwälte, also Advokaten, die in den Gesellschaften der OECD-Welt für die internationale Solidarität mit Entwicklungsländern eintreten.
Schon in den frühen Phasen der Konstitution des Politikfeldes Entwicklung haben zivilgesellschaftliche Organisationen, allen voran die Kirchen, sich das Ziel der Verbesserung der Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerungen in der Dritten und Vierten Welt zu eigen gemacht. Vordringlichstes Ziel war es zunächst, Solidarität in den eigenen Gesellschaften für diesen Zweck zu mobilisieren.
So entstanden etwa die großen Hilfswerke, die vor allem materielle Ressourcen in Form von Spenden akquirierten und diese Mittel in konkrete Hilfsprojekte in der Dritten Welt transferierten. Die staatliche Entwicklungspolitik begann ihrerseits, diese sich entwickelnde zivilgesellschaftliche Infrastruktur für den Transfer von Ressourcen für spezifische Zielgruppen sowie für die gesellschaftliche Legitimation des jungen und in seiner Autonomie gefährdeten Politikfeldes zu nutzen.
Schon bald wurde jedoch deutlich, dass diese humanitär-diakonische Form internationaler Solidarität allein nicht ausreichend war. Im Zuge der allgemeinen Politisierung in den 60er Jahren sowie der politischen Formierung der Dritten Welt als Akteure auf der Bühne internationaler Politik übernahmen zivilgesellschaftliche Initiativen und Organisationen zunehmend auch die Rolle von Advokaten, die sich in ihren eigenen Gesellschaften sowie in wachsendem Maße auch in der internationalen Politik für die Veränderung der ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen des Nord-Süd-Verhältnisses einsetzten.
Ausgangspunkt für diese Mobilisierung der ‚Solidaritätsbewegung‘ waren vor allem zwei gesellschaftliche Strömungen: Im Kontext der christlichen Kirchen avancierte im Zuge der verstärkten ökumenischen Zusammenarbeit der Begriff der Gerechtigkeit zum Signum eines neuen Verständnisses christlicher Weltverantwortung, das von Kirchen und Christen ein aktives politisches Engagement zur Veränderung ungerechter politischer und wirtschaftlicher Strukturen einforderte. Andererseits waren es die kritische Auseinandersetzung mit den Folgen der Kolonialzeit und die sozialen und ökologischen Folgen der Industrialisierung, die der politischen Forderung Gewicht verliehen, sich mit der Bevölkerung in den Staaten der Dritten Welt solidarisch zu zeigen.
Bis zum Ende der 1980er Jahre stand der Nord-Süd-Konflikt ganz im Zeichen des Ost-West-Konflikts und der Systemkonkurrenz. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks veränderte sich die politische Gelegenheitsstruktur der Entwicklungspolitik grundlegend. Diese Zäsur weckte auf Seiten der zivilgesellschaftlichen Akteure große Hoffnungen: auf eine Friedensdividende in Form der Umwidmung von Ressourcen aus der Rüstung für die Entwicklung, auf die Entwicklung und Durchsetzung einer nachhaltigen Entwicklungspolitik und auf die Etablierung einer kooperativen Weltordnung, wie sie sich mit den großen UN-Konferenzen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre herauszubilden schien. Keine dieser Hoffnungen erfüllte sich.
In Das zivilgesellschaftliche entwicklungspolitische Engagement seit den 1990er Jahren ist durch einen deutlichen Trend zur Professionalisierung und Internationalisierung gekennzeichnet. Im Nachhinein lässt sich nicht genau sagen, ob diese Entwicklung eine Reaktion auf die 1980er Jahre – das ‚verlorene‘ Jahrzehnt für die Entwicklungsländer – oder ob es eine Folge der gesteigerten und schon bald enttäuschten Hoffnungen nach 1989 oder beides waren: Heute zählen zivilgesellschaftliche Organisationen in der Entwicklungspolitik zu den etablierten Akteuren auf der nationalen und internationalen Bühne. Sie haben sich in der Entwicklungszusammenarbeit als bedeutsame, wenn nicht unverzichtbare Partner gerade auf den Feldern einen Namen gemacht, wo staatliche Hilfe sich häufig als dysfunktional erwiesen hatte.
Im Unterschied zu den Aktivitäten von NGOs im Bereich der humanitären Hilfe und anders als die grenzüberschreitenden oder nationalen politischen Aktivitäten von NGOs auf anderen Feldern, beispielsweise der Umweltpolitik, sind diejenigen von Entwicklungs-NGOs bisher kaum untersucht worden. Auch über die Auswirkungen von Professionalisierungsprozessen auf die Organisationen und ihre Netzwerke ist bisher nur wenig bekannt. Diese Forschungslücke von Bewegungs-, Verbände- und Dritte-Sektor-Forschung bildet den Anlass und den Ausgangspunkt des vorliegenden Themenheftes.
Ein solches Unternehmen erfordert zunächst eine Bestimmung der Rahmenbedingungen der internationalen Entwicklungspolitik nach 1989. Dies unternimmt Dirk Messner in seinem Beitrag. Zu den Herausforderungen der Entwicklungspolitik rechnet Messner einerseits die sicherheitspolitischen Instabilitäten der gegenwärtigen Weltordnung wie etwa den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien, den Völkermord in Ruanda, die Terroranschläge am 11. September und den Krieg im Irak. Dadurch kommt der Entwicklungspolitik neben dem klassischen Ziel der Armutsreduzierung nunmehr auch die neue Aufgabe zu, friedenspolitisch und krisenpräventiv zu wirken. Eine weitere Herausforderung erwächst der Entwicklungspolitik daraus, dass viele der gegenwärtigen Probleme der internationalen Politik den Charakter von Weltproblemen haben: Probleme wie das Weltklima, die Weltfinanzmärkte oder Migration haben potenziell weltweite Ausstrahlungseffekte und können globale Systemkrisen auslösen. Die Entwicklungspolitik muss vor diesem Hintergrund die Entwicklungsländer in die Lage versetzen helfen, sich bei der Entwicklung von Formen globalen Regierens konstruktiv beteiligen zu können. Weltprobleme lassen sich nur auf der Basis einer allseitigen internationalen Kooperation lösen und setzen daher die aktive Mitwirkung auch der Entwicklungsländer bei der Problemlösung voraus.
Eine solche Neuorientierung der Entwicklungspolitik erfordert nach Messner auch eine Neuausrichtung der Legitimationsmuster. Ohne die ethisch-moralische Dimension der Entwicklungspolitik aufgeben zu wollen, hält er eine stärkere Betonung der Eigeninteressen der Industrieländer an der Entwicklungspolitik für geboten. Da die Industrieländer ein vitales Interesse an der Lösung der Weltprobleme haben, müssen sie daran interessiert sein, die Voraussetzung der angemessenen Problembearbeitung zu schaffen.
Die Professionalisierung und Internationalisierung der Lobby- und Kampagnenarbeit von entwicklungspolitischen NGOs und die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die NGOs behandeln die Beiträge von Claudia Olejniczak, Kerstin Martens, Anja Appel und Knud Vöcking. Claudia Olejniczak zeigt auf dem Hintergrund einer knappen Skizze der Geschichte der Dritte-Welt-Bewegung in der Bundesrepublik, wie das Ende der Systemkonfrontation in dieser Bewegung zur Ablösung älterer, systemtranszendierender Visionen gesellschaftlicher Entwicklung durch eher pragmatisch orientierte konzeptionelle Ansätze geführt hat. Ein zentrales Element dieser Entwicklung ist nach Olejniczak die Zusammenführung der ehemals konkurrierenden Ansätze von Lobbyarbeit und Bewusstseinsbildung in themenorientierten und überwiegend international vernetzten Kampagnen. Sie stellt exemplarisch zwei dieser Kampagnen – die Kampagnen gegen Kinderprostitution und Sextourismus einerseits und für einen fairen Handel andererseits – vor. Sie diskutiert die charakteristischen Merkmale und die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, wenn diese Kampagnen Wirkung zeigen sollen.
Kerstin Martens untersucht exemplarisch am Beispiel eines der wichtigsten international operierenden entwicklungspolitischen NGOs, CARE International, die Wechselwirkungen von personeller und organisationeller Professionalisierung auf der einen und den veränderten Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten auf der Ebene der UN für NGOs auf der anderen Seite
Die starke Professionalisierung und Internationalisierung von Initiativen und Organisationen führt jedoch auch zu neuen Problemen. Sowohl Claudia Olejniczak als auch Knud Vöcking verweisen in ihren Beiträgen auf die wachsende Kluft zwischen den wenigen ressourcenstarken und international operierenden Organisationen und den vielen kleineren, häufig lokal ausgerichteten Initiativen. Ein zweites Problemfeld besteht in der Spannung zwischen den professionalisierten hauptamtlichen Stäben der Organisationen und den ehrenamtlich tätigen Mitgliedern und Unterstützern. Hier zeigt der Beitrag von Anja Appel, wie themenorientierte Kampagnen mit einem breit angelegten Zielspektrum und den vielfältigen Instrumenten auch eine integrierende innerorganisatorische Funktion haben können. Appel macht am Beispiel von terre des hommes deutlich, wie die Gestaltungsmöglichkeiten, die NGOs sich auf internationalem Parkett erarbeitet haben, auch Reformbedarfe in den Organisationen nach sich ziehen. Die Veränderungen der Systemumwelt setzten in den NGOs Transformationsimpulse frei, erzwingen aber auch Anpassungen sowie Neuorientierungen auf der Ebene der strategischen Ausrichtung, der Partnerschaftsbeziehungen zwischen NGOs und in ihrer praktischen Arbeit.
Das Themenheft rückt mit dem Beitrag von Knud Vöcking auch die Praxis der advocacy-Tätigkeit ins Blickfeld. Vöcking skizziert die Lobbyaktivitäten der Entwicklungs-NGO urgewald bei der Weltbank. Er stellt jedoch nicht nur die dringend notwendigen Basisinformationen, die erst eine Diskussion über Legitimation und den Anspruch auf Themenanwaltschaft von Nord-NGOs fruchtbar machen, bereit, sondern diskutiert auch die Möglichkeiten und Grenzen des national wie international ausgerichteten und vernetzten Lobbyings bei einer internationalen Finanzinstitution. Ein an moralischen Prinzipien orientierter, stellvertretender Einsatz für die Interessen Dritter – hier diejenigen großer Bevölkerungsteile in der Dritten Welt – ist immer auch mit dem Problem der Interpretation dieser Interessen verbunden. Dass auch das zivilgesellschaftliche Engagement mit diesem Grundproblem konfrontiert ist, zeigt eindrücklich Mundo Yang in seiner Rekonstruktion der internationalen Kampagne für eine gerechte internationale Schuldenpolitik seit Mitte der 1990er Jahre. Hier spaltete sich von der mehrheitlich von Organisationen aus dem Norden getragenen, differenzierte Konzepte verfechtenden und moderate Forderungen stellenden ‚Jubilee2000’-Kampagne die mehrheitlich von Initiativen und Organisationen aus dem Süden getragene Kampagne ‚Jubilee South’ ab. Diese betonte die Illegitimität der Schulden von Entwicklungsländern und forderte daher nicht nur die völlige Streichung dieser Schulden, sondern darüber hinaus Entschädigungszahlungen. Yang konzentriert sich in seinem Beitrag auf die Frage, welche Ursachen für diese Differenzen verantwortlich sind: Während es aus Sicht der Akteure vornehmlich aus dem Süden zweifelhafte oder kritikwürdige Interessenlagen und Motive der Akteure im Norden sind, drängen sich aus der Beobachterperspektive eher unterschiedliche Handlungsbedingungen und Erfolgskalküle als Faktoren auf.
Als Advokaten internationaler Solidarität haben die NGOs sich die Sympathie einer breiten Öffentlichkeit gesichert und sind über lange Zeit Günstlinge der Medien gewesen. Doch immer häufiger wird öffentlich, politisch und wissenschaftlich auch die Frage gestellt, an welche Grenzen die zivilgesellschaftlichen Organisationen stoßen. Berthold Kuhn thematisiert in seinem Beitrag Innovationspotenziale und Handlungsmuster, aber auch die Orientierungsdilemmata von NGOs in der Entwicklungszusammenarbeit und zeigt so die Chancen der Professionalisierung ebenso wie die daraus resultierenden Risiken auf. Letztlich warnt er vor übersteigerten Erwartungen und einer Überstrapazierung der Leistungsfähigkeit von NGOs. Eine systematische Instrumentalisierung der zivilgesellschaftlichen Organisationen durch Einrichtungen der staatlichen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit genau derjenigen komparativen Vorteile berauben, die sie so attraktiv machen: ihrer Fähigkeit zur Mobilisierung gesellschaftlicher Solidarität und ihrer immensen operativen Flexibilität. Auch für (zivilgesellschaftliche) Solidarität scheint das zu gelten, was Albert Hirschman in anderem Zusammenhang einmal über prosoziale Orientierungen wie Liebe, Gemeinsinn, Moral usw. festgehalten hat. Gegen eine ökonomische Deutung dieser Orientierungen ist einzuwenden, dass es sich bei ihnen nicht um knappe Ressourcen handelt, die durch Nutzung aufgezehrt werden, sondern um Fähigkeiten, die durch mangelnde Ausübung verkümmern können. Doch gegen einen zivilgesellschaftlichen Enthusiasmus gilt es ebenso festzuhalten, dass es sich bei diesen Orientierungen auch nicht um beliebig vermehrbare Ressourcen handelt, weil übermäßiger Gebrauch zu ihrer Erschöpfung führen kann. Im Umgang mit zivilgesellschaftlicher Solidarität scheint sich daher der Anschluss an eine ökologische Perspektive zu empfehlen: eine Perspektive der nachhaltigen, auf Reproduktionsfähigkeit angelegten Nutzung und der Fortentwicklung der hierfür erforderlichen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen.
In der Rubrik ‘Pulsschlag’ bietet Steffen Jörg einen Überblick über die Entwicklung der BUKO (früher ‘Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen`, heute ‘Bundeskoordination Internationalismus’), die in diesem Jahr ihr 28jähriges Bestehen feiert. Die Buko hat sich zu einer bedeutenden Infrastruktur der Solidaritätsbewegung entwickelt. Sie steckt derzeit jedoch in einer Existenzkrise, da sie aktuell den Wegfall kirchlicher Finanzmittel kompensieren muss. Ingo Take und Reinhard Wolf berichten über Brüche und Brücken in der Wissenskommunikation zwischen NGOs und Wirtschaft. Ihr ausführlicher Tagungsbericht macht deutlich, dass die fruchtbare Fortführung eines kritischen Dialogs zwischen Globalisierungskritikern und NGOs einerseits, Akteuren aus Wirtschaft und Finanzen andererseits in geeigneten Foren und Formen durchaus möglich ist. Im Ausgang von unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Ordnungsvorstellungen lassen sich mit Gewinn für beide Seiten konkrete Themen und Fragestellungen bearbeiten. Lydia Krüger analysiert und kommentiert aktuelle Kritiken am Weltsozialforum (WSF). Das WSF wird künftig nur noch alle 2 Jahre stattfinden, das nächste soll in Afrika durchgeführt werden. In der Zwischenzeit sind regionale Foren (etwa in Athen oder Caracas) geplant.
Die Beiträge des Themenschwerpunktes gehen zurück auf den Workshop ‘Zivilgesellschaftliche Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit’, der im Rahmen des Kongresses ‘Dominanz des Nordens? Akteure und Praxisfelder internationaler Zivilgesellschaft’ am 2./3.Juli 2004 am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) durchgeführt worden ist. Veranstalter waren das Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, das WZB und die beiden Arbeitskreise ‘Verbände’ und ‘Soziale Bewegungen’ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW). Unser Dank gilt neben den Veranstaltern auch den Förderern der Veranstaltung: der Hans-Böckler-Stiftung, der Otto-Brenner-Stiftung, dem WZB, der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Verein Aktive Bürgerschaft.
In Vorbereitung ist derzeit auch noch eine weitere Publikation aus Beiträgen dieses Kongresses: Silke Roth und Ansgar Klein bereiten die Herausgabe eines Bandes vor, der sich mit dem Thema ‘NGOs im Spannungsfeld von Krisenprävention und Sicherheitspolitik’ auseinandersetzt. Das Thema war auf dem Kongress Gegenstand eines zweiten Workshops gewesen.
Christiane Frantz (Münster), Ansgar Klein (Berlin), Markus Rohde (Bonn), Ulrich Willems (Darmstadt)