Strategiefähigkeit ist unter den sich heute immer schneller ändernden inneren und äußeren Bedingungen für Organisationen wichtiger denn je. Es gibt aber in politischen Organisationen, in Parteien, Regierungen und Verbänden kein ausreichendes Bewusstsein für die Bedeutung sowie kaum einen erkennbaren Willen zur Strategiebildung. Vorherrschend ist ein intuitives Herangehen an Politikentwürfe und eine Politik des sich Durchwurschtelns (Muddling through). Notwendig aber ist eine zukunftsorientierte Politik der ‚langen Linien’, wie in Anlehnung an eine These von Matthias Machnig formuliert werden kann. Dem mächtigen Chor der Vetospieler aus den Interessengruppen müsse durch eine strategisch angeleitete Politik entgegengetreten werden. Wenn Politik noch gestalten wolle, bleibe dies der einzige Ausweg: Politik müsse strategischer werden. Eine Politik, die grundlegende und drängende Probleme zu lösen hat, muss von einer durchdachten und langfristig angelegten Strategie bestimmt sein.
Doch die Reformpolitik wird gegenwärtig eher durch Zufälle und Machkonstellationen bestimmt. Langfristig angelegte Strategiebildung spielt im politischen Alltagsgeschäft kaum eine Rolle. Strategisches Denken kommt hier nicht zum Zuge. Die fehlende strategische Orientierung zeigte sich beispielsweise im Jahr 2002 beim Start der rot-grünen Bundesregierung in die zweite Legislaturperiode. Erst allmählich schälte sich nach harten internen Konflikten und mit der Rede Schröders im Bundestag zur Agenda 2010 eine Richtung heraus, die von außen als erkennbare Linie der Regierungspolitik zu identifizieren war. Aktuelle werden die Defizite durch die vom Parteivorsitzenden Franz Müntefering losgetretene Kapitalismusdebatte bestätigt. Es ist keine erkennbare Strategie damit verbunden und die Parteiführung scheint auch die Reaktionen der Öffentlichkeit kaum einkalkuliert zu haben. Jedenfalls wird peinlich darauf geachtet, dass für die Regierungspolitik keine Konsequenzen daraus entstehen.
Gleiches gilt auch für die Politik der Union, deren politische Konzepte nach Jahren der Opposition auch heute noch eher durch interne Machtkämpfe als durch eine klare und lange Linie bestimmt zu sein scheinen. Diese mühsamen Prozesse zeigen, wie kompliziert der Strategiebildungsprozess ist. Gerade die Parteien werden durch die Verlockungen der tagesaktuellen betriebenen Taktik beherrscht, denn Fehlervermeidung und kurzfristige Stimmenmaximierung scheinen immer noch wichtiger zu sein als nachhaltige Problemlösungen.
Planungs- und Grundsatzabteilungen werden schon seit Jahren ausgedünnt oder erst gar nicht in die Politikformulierung mit einbezogen. Aus dem Zusammenbruch der Planungseuphorie der 70er Jahre wurde nichts gelernt. Ein wichtiger Schritt wäre es schon gewesen, die Differenz zwischen Strategiebildung und Planung zu erkennen.
Auch Verbände und Gewerkschaften tun sich sichtlich schwer, unter den sich ändernden Umweltbedingungen eine klare Linie zu verfolgen. Das zeigt sich bei den Gewerkschaften in der gegenwärtigen Diskussion um Arbeitszeitverlängerung, Kündigungsschutz und den widersprüchlichen Antworten auf die umfassenden Angriffe aus dem Unternehmerlager. Eine konsistente Strategie ist bei den Gewerkschaften nicht erkennbar. Gerade auch nicht bei den zwischen Radikalität und Anpassung schwankenden Aktionen gegen die Agenda 2010 im Jahr 2004.Nach Informationen des SWR hat die DGB-Spitze mit Hilfe eines McKinsey-Beraters in der Studie "Turnaround!" die Defizite benannt und Vorschläge für eine strategische Neuorientierung gesammelt. Strukturkrise und Dauerdefensive könnten nur überwunden werden, wenn neue Wege beschritten und die Gewerkschaften sich auf das Wesentliche konzentrieren würden, lautet eine der Thesen.
Auch in anderen Verbänden gibt es unterschiedlich erfolgreich verlaufende Anpassungs- und Strategiebildungsprozesse. Gerade Großorganisationen haben mit Mitgliederverlusten zu kämpfen. In mitgliederbasierten Organisation kann eine strategische Neuorientierung nicht einfach von oben verordnet werden. Gefragt sind Führung in Kombination mit einem strategischen Lernen der Organisation.
In Das zivilgesellschaftliche entwicklungspolitische Engagement seit den 1990er Jahren ist durch einen deutlichen Trend zur Professionalisierung und Internationalisierung gekennzeichnet. Im Nachhinein lässt sich nicht genau sagen, ob diese Entwicklung eine Reaktion auf die 1980er Jahre – das ‚verlorene‘ Jahrzehnt für die Entwicklungsländer – oder ob es eine Folge der gesteigerten und schon bald enttäuschten Hoffnungen nach 1989 oder beides waren: Heute zählen zivilgesellschaftliche Organisationen in der Entwicklungspolitik zu den etablierten Akteuren auf der nationalen und internationalen Bühne. Sie haben sich in der Entwicklungszusammenarbeit als bedeutsame, wenn nicht unverzichtbare Partner gerade auf den Feldern einen Namen gemacht, wo staatliche Hilfe sich häufig als dysfunktional erwiesen hatte.
Im Unterschied zu den Aktivitäten von NGOs im Bereich der humanitären Hilfe und anders als die grenzüberschreitenden oder nationalen politischen Aktivitäten von NGOs auf anderen Feldern, beispielsweise der Umweltpolitik, sind diejenigen von Entwicklungs-NGOs bisher kaum untersucht worden. Auch über die Auswirkungen von Professionalisierungsprozessen auf die Organisationen und ihre Netzwerke ist bisher nur wenig bekannt. Diese Forschungslücke von Bewegungs-, Verbände- und Dritte-Sektor-Forschung bildet den Anlass und den Ausgangspunkt des vorliegenden Themenheftes.
Die Wurzeln des Strategiebegriffs liegen im Militärischen. Clausewitz und Sun Tsu (chinesischer Philosoph und Militärberater) sind hier als Gewährsmänner zu nennen. Aber auch Machiavelli gehört dazu, der gerade nicht Militär war, sondern Berater. Strategie und Taktik sind die beiden großen Begriffe, die jedem Militär geläufig sind. Während die Taktik die Führung der Gefechte betrifft, kümmert sich, nach Clausewitz, die Strategie um die Verbindung der Gefechte und um die Führung des Krieges insgesamt. Die Strategie hat also das große Ganze im Auge. Der Strategiebegriff ist wegen seines militärischen Ursprungs innerhalb demokratischer Politik nicht sehr beliebt. Er hat es auch deshalb schwer, weil gerade innerhalb von Demokratien die Auffassung vorherrscht, Politik folge einer anderen Handlungslogik als Kriegsführung. Dieser militärisch inspirierte Strategiebegriff ist vor allem bei externen Beratern, bei Planern und bei einer hierarchiebetonten Unternehmensführung beliebt. Einher damit geht die Illusion, eine fertige Strategie müsse nur noch umgesetzt, implementiert werden.
Viele Organisationen sind anders strukturiert und nur die wenigsten ausgearbeiteten Strategien bleiben bei ihrer Anwendung unverändert. Zudem besteht zwischen strategischer Steuerung von Politik und Partizipationsansprüchen in demokratischen Organisationen ein schwer auflösbares Spannungsverhältnis. Solche Organisationen brauchen ein um den Begriff der lernenden Organisation erweitertes Strategieverständnis.
Der Strategiebegriff umfasst aber mehr als nur die zeitliche Dimension zwischen Kurz- und Langfristigkeit. Bei strategischen Fähigkeiten geht es viel um Logik, Planung und das Erkennen und Lösen der zentralen Probleme. Im Grunde haben wir es mit zwei unterschiedlichen Politikbegriffen oder Verständnissen von Politik zu tun. Die lange dominierende Policy-Orientierung hat gerade in der Wissenschaft verdeckt, dass es einen gegnerorientierten Politikbegriff gibt. Bei diesem Modell geht es darum, dass das eigene Handeln immer auch am Handeln des Gegners ausgerichtet wird. Konkurrenz und sich verändernde Umweltbedingungen stehen beim gegnerorientierten Politikbegriff im Mittelpunkt. Sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Parteien sowie vielen anderen Organisationen dürfte dieser Politikbegriff eigentlich bekannt sein. Strategische Orientierung ist daher mehr als Planung, die vor allem in Gestalt der "politischen Planung" Anfang der 1970er Jahre das politische Handeln beherrschte.
Das Bestreben von Organisation, strategiefähiger zu werden, mündet meist auch in Maßnahmen zur Organisationsentwicklung. Strategiefähigkeit hängt an bestimmten Voraussetzungen, die Organisationen schaffen müssen. Sie ist keine Geheimwissenschaft, sondern hat viel mit analytischen und handwerklichen Fähigkeiten zu tun. Dabei richtet sich der vergleichende Blick immer wieder auf Unternehmen, weil dort strategische Unternehmensplanung integraler Bestandteil des Managements ist. Fraglich ist allerdings, ob politische Organisationen einfach Verfahren von Wirtschaftsunternehmen kopieren können. Die Debatte über Gemeinsamkeiten und Differenzen beginnt erst.
Zu den Voraussetzungen in beiden Bereichen gehört, dass eine Klarheit über die anzustrebenden Ziele herrscht, die als eindeutige Botschaften nach innen und außen kommuniziert werden müssen.
Zu den Voraussetzungen gehört weiterhin, dass es in den Organisationen eine Bereitschaft für Strategiebildung und -fähigkeit gibt. Ohne einen gewissen Leidensdruck durch Mitglieder- und Einflussverlust, ohne Siegeswillen und ohne harte Marktkonkurrenz, so sagen Praktiker, versanden solche Prozesse relativ schnell.
Strategiefähigkeit hat damit zu tun, dass man sich über die Lage der eigenen Organisation im Klaren ist, ihre Stärken und Schwächen kennt und Perspektiven entwickelt. Neben diesen analytischen Fähigkeiten gehört auch konzeptionelle Gestaltung, formale Planungsprozesse und kooperative Lernprozesse zur Strategiebildung. Hinzu kommen muss die Fähigkeit, in den entscheidenden Momenten das richtige zu tun.
Zur Strategiefähigkeit gehört heute auch ein Bewusstsein für die kommunikative Dimension der Strategiebildung. Nicht zuletzt hat Strategiefähigkeit auch mit Leadership zu tun. Eine politische Führung ist etwas anderes als das heute übliche bonapartistische Verhalten. Grundlage sind Themenmanagement, Responsivität und Kommunikation von Zielen und Werten.
Die Beiträge des Themenschwerpunktes gehen zurück auf den Workshop "Strategiebildung und Strategieblockaden" am 19./20 November 2004 im Sony-Center in Berlin. Der Workshop wurde von Dr. Thomas Leif und Dr. Rudolf Speth entwickelt und vom Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen und der Hans Böckler Stiftung in Kooperation mit der IG Metall und C:MM Connect Media Marketing veranstaltet. Das Forschungsjournal dankt allen Veranstaltern, die den Workshop durch ihr Engagement ermöglicht haben. Unser Dank gilt insbesondere den Förderern des Workshops, der Hans Böckler Stiftung und der IG Metall, die das Forschungsjournal durch Abnahme von Kontingenten des vorliegenden Heftes weiter unterstützen.
Rudolf Speth (Berlin), Thomas Leif (Wiesbaden), Tobias Quednau, (Berlin), Nele Boehme (Berlin)