Wer in der Geschichte nach grundlegenden gesellschaftlichen und politischen Veränderungen sucht und nach Ursachen fragt, landet unweigerlich bei sozialen Bewegungen. Sei es die Gründung der Nationalstaaten und die Einführung der Demokratie, die Abschaffung der Kinderarbeit und die Einführung von Arbeitnehmer/innen-Rechten, die Einführung des Frauenwahlrechts und viele weitere Maßnahmen zur Gleichberechtigung der Geschlechter, aber auch die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten im Dritten Reich: Ausschlaggebend waren soziale Bewegungen. Der Blick in die jüngere Zeit führt zu ähnlichen Befunden. Dabei sind es Forderungen nach Gleichberechtigung von Frauen, beispielsweise im Arbeitsleben, wo eine Vielzahl von Berufen lange Zeit Männern vorbehalten war. Die Verbreitung des Umweltbewusstsein, der Einzug der Grünen als neue Partei in den Bundestag oder in jüngster Vergangenheit die WASG im Zusammenschluss mit der PDS sind weitere Beispiele, in denen grundlegende Veränderungen in engem Zusammenhang stehen mit sozialen Bewegungen. Schließlich sollte der Zusammenbruch der DDR und der übrigen mittel- und osteuropäischen Staaten nicht vergessen werden, auch in diesem Fall waren soziale Bewegungen entscheidend beteiligt. Fragt man nach Gründen für sozialen Wandel, so kommen die soziale Bewegungen sofort in den Blick (vgl. z.B. Giddens 195, Joas 1996).
Diese Aufzählung lässt zunächst eine schier unbezähmbare Macht von sozialen Bewegungen erwarten, doch das wäre weit gefehlt. Der obigen Aufzählung ließe sich leicht eine weit längere Liste von Fehlschlägen und weitgehend erfolglosen Bewegungen anschließen. Erinnert sei an die Mobilisierung gegen den Krieg der USA gegen Saddam Husseins Irak, um nur ein recht aktuelles Beispiel zu wählen. Wenn also einerseits Bewegungen so grundlegenden Wandel zur Folge haben können, andererseits aber oftmals in ihrem Bemühen scheitern, drängt sich die Frage auf, was die Erfolgsbedingungen und die messbare Kriterien für soziale Bewegungen sind.
Diese Frage zu stellen, heißt allerdings, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Zunächst ist zu klären, ob tatsächlich die sozialen Bewegungen ursächlich waren für sozialen Wandel. Es ist keineswegs trivial, diese Frage zu beantworten, denn was macht uns so sicher, dass die Bürgerrechtsbewegung und nicht die massiven Flüchtlingsströme oder die fehlende Unterstützung durch die Sowjetunion, namentlich durch Gorbatschow, die DDR zu Fall brachte? Max Weber empfahl zur Erklärung von historischen Ereignissen das Gedankenexperiment, was geschehen wäre, wenn ein für wesentlich gehaltener Baustein gefehlt hätte (Weber 1991). Diese Spekulation über hypothetische Fälle ist ausgesprochen schwierig, Abschätzungen des "Was wäre wenn?" müssen immer vage bleiben. Doch nicht allein die Kausalzurechnung von gesellschaftlichem Wandel auf eine soziale Bewegung ist schwierig, auch die Erfolgsbestimmung als solche stellt erhebliche Hürden auf. Ziele von Bewegungen sind vielschichtig, auch Teilerfolge oder erste Schritte auf dem Weg können von manchen bereits als Erfolg angesehen werden. Manches wird nur von Teilen einer Bewegung als Erfolg angesehen, von anderen als Misserfolg gewertet werden und die Zielsetzungen verschieben sich aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen. Schließlich mag es über den richtigen Weg zum Endziel in einer Bewegung ganz unterschiedliche Ansichten geben.
Wissenschaftlich lassen sich Fragen nach Erfolgen und Nichterfolgen und deren Korrelation in Bezug auf sozialen Wandel nicht sinnvoll beantworten. Entsprechend hat sich die Bewegungsforschung darauf verlegt, Auswirkungen oder Effekte von Bewegungen zu untersuchen und den Erfolgsbegriff einzuklammern. Gleichwohl steht er bei der Auswahl von Effekten, denen die Neugier der Forscher/-innen gilt, immer Pate, werden doch die zu untersuchenden Auswirkungen in aller Regel ausgewählt nach den unterstellten Zielen der Bewegung. Für die Bewegungspraxis steht ein weiteres Thema ganz oben auf der Agenda. Es geht nicht allein um die Frage, ob eine Bewegung insgesamt erfolgreich oder erfolglos war, sondern vor allem darum, welche Strategien einen Erfolg wahrscheinlicher machen können. Wiederum macht das Phänomen soziale Bewegung eine Beantwortung dieser Frage außergewöhnlich schwer. Mobilisierungsstrategien sind in aller Regel vielschichtig, es wird an verschiedenen Orten über längere Zeit von sehr unterschiedlichen Akteur/-innen Protest organisiert. Dazu kommt vielleicht die Mobilisierung von Problembewusstsein, Aufklärung oder Lobbyarbeit. Zwar ist für die Aktiven die Frage brennend, welche der vielen Strategien zum Erfolg führte, aus der Forschungsperspektive ist aber gerade diese Frage ausgesprochen schwer zu beantworten. Und so wird es auch diesmal kein universal anwendbares Erfolgsrezept für soziale Bewegungen geben.
Über die wissenschaftliche Erforschung von Bewegungserfolgen zu sprechen heißt, über die Schwierigkeiten einer solchen Forschung zu reden. Es dürfte mit an diesen Schwierigkeiten liegen, dass die Bewegungsforschung bei diesem Thema bislang eher zurückhaltend war. Gerade in Deutschland wurden kaum Studien zu den Effekten von Bewegungen vorgelegt. In den USA wurde das Thema weit häufiger behandelt, allerdings sind die Befunde vielfältig und schwer zu integrieren (vgl. den Beitrag von Felix Kolb in diesem Heft). Erst in jüngerer Zeit sind einige Studien zu Bewegungseffekten entstanden und nun widmet sich auch das Forschungsjournal diesem Thema, um die neuesten Ergebnisse zu versammeln und zu diskutieren.
Der Frage nach Effekten und Erfolgen geht das Forschungsjournal in zwei Perspektiven nach: einer wissenschaftlich resümierenden und einer praktisch-strategischen Perspektive. Den Auftakt macht Felix Kolb mit einer breiten Übersicht zur vor allem englischsprachigen Literatur über Bewegungseffekte. In seiner Synthese weist er unterschiedliche Arten von Bewegungseffekten aus und resümiert die Chancen, in den jeweiligen Dimensionen einflussreich zu sein.
Die vier weiteren Beiträge beschäftigen sich jeweils mit einer neueren Bewegung, um deren Effekte und erfolgversprechende Strategien zu beurteilen. Den Auftakt macht Ute Gerhard mit einem Rückblick auf die Frauenbewegung. Als Aktivistin der zweiten Frauenbewegung geht sie aus von der Erfolgsbedingung, die Bewegung als treibende Kraft am Leben zu erhalten und fragt nach dem Zusammenhang zwischen Generationenwandel und sozialen Veränderungen in Hinblick auf frauenpolitische Aspekte. Jochen Roose nimmt in seinem Beitrag zur Umweltbewegung Protestereignisanalysen zum Ausgangspunkt und vergleicht die Entwicklung von Protesthäufigkeit mit der Veränderung von Bevölkerungseinstellungen, Debatten zu Umweltthemen im Bundestag und der Veränderung von umweltgerechtem Verhalten in der Bevölkerung. Michelle Beyeler beurteilt die Erfolge der globalisierungskritischen Bewegung. Für sie ist die Medienberichterstattung über die Ereignisse rund um Treffen der Welthandelsorganisation und des World Economic Forum der Maßstab, um den Erfolg der Bewegung bei der Selbstdarstellung und dem Einbringen von Argumenten zu beurteilen. Die Strategien und Erfolge der DDR-Bürgerrechtsbewegung lässt Karin Urich Revue passieren. Gerade hier wird deutlich, dass die unterschiedlichen Situationen in den genannten Städten ein Kriterium waren, die Bewegung aber auch stark an Persönlichkeiten gebunden war. Eine Sammelrezension zum Thema Bürgerrechtsbewegung in der DDR stellt die neueste Literatur zu diesem Thema vor. Der zweite Teil des Themenschwerpunktes widmet sich der Erfolgsfrage aus einer praktisch-strategischen Perspektive. Matthias Heyck stellt das Qualifizierungsprojekt "Zukunftspiloten" vor. Hier wird versucht, Aktivisten der Umweltbewegung für ihre Bewegungsarbeit zielgerichtet zu schulen, um die Erfolgsaussichten der Bewegung zu verbessern. Die Chancen eines solchen Programms, aber auch die nicht-intendierten Nebeneffekte diskutiert Heyck. Malte Kreuzfeld, Pressesprecher von ATTAC Deutschland, diskutiert die Bedeutung für eine Bewegungsorganisation, eigene Erfolge darzustellen und so die Basis zu schaffen für weitere Mobilisierungen. Abgerundet wird das Heft von einigen Beiträgen jenseits des Themenschwerpunkts. Der ehemalige CDU-Wahlkampfberater Michael Spreng analysiert das "grandiose Scheitern" der Wahlkampfstrategie von CDU/CSU. Gerade weil die Ausgangsvoraussetzungen für die Unionsparteien so ungewöhnlich günstig waren, ist die Frage nach Ursachen - und Schuldigen - besonders brisant. Auch in diesem Beitrag stellt sich die schwierige und folgenreiche Frage nach Erfolgs- und - in diesem Fall - Misserfolgsfaktoren aus einer strategischen Sicht.
Hinweisen möchten wir noch auf den Kongress "Bürgergesellschaft - Wunsch und Wirklichkeit" am Wissenschaftszentrum Berlin im Oktober 2006, der vom Forschungsjournal mit veranstaltet wird. Eine Vorstellung des geplanten Kongresses sowie ein Call for Paper finden Sie in diesem Heft.
Gerhard Mester, seit der Gründung des Forschungsjournals Karikaturist des Heftes und mit den Herausgebern freundschaftlich eng verbunden, hat im Januar seinen 50. Geburtstag gefeiert. Gratulation auch von Seiten der Redaktion. Eine Würdigung von Werk und Person durch die Herausgeber können Sie auf der Homepage des Forschungsjournals (www.fjnsb.de) nachlesen.
Jochen Roose (Berlin), Karin Urich (Mannheim), Stephanie Schmoliner (Flensburg)