In den letzten Jahren mehren sich die Diagnosen, wonach wir uns in Richtung einer „Inszenierungsgesellschaft“ [1] bewegen. In der Politik und in der Gesellschaft würde immer mehr auf die Instrumente des Theaters und des Schauspiels zurückgegriffen. Das darstellende Moment gewinnt an Bedeutung und drängt die Entscheidungs- und Sachdimension in den Hintergrund. Ulrich Sarcinelli sieht hier einen Schereneffekt am Werk, der bewirkt, dass die Verbindung zwischen dem „Legitimationsgewerbe“ und der Sachebene immer lockerer wird[2]. Während erstere mit den Mitteln der Vereinfachung arbeitet und auf die Massenmedien setzt, geht es auf der politischen Sachebene um die unspektakuläre Fachlichkeit der Problemlösung und –entscheidung.
Diese gesellschaftskritischen Diagnosen entstammen vor allem dem Bereich der Forschung zur politischen Kommunikation. Die inszenatorischen Effekte lassen sich aber auch im Bereich der Wirtschaft feststellen. Unternehmen investieren verstärkt in Public Relations (PR) und wollen sich durch großen kommunikativen Aufwand als ‚gute‘ Corporate Citizens darstellen. Politik wie Unternehmen werden sich bewusst, dass sie mehr Vertrauen in und Legitimation für ihr Handeln benötigen und investieren mehr in die Kommunikation.
Das Schlüsselwort für diesen Trend heißt Campaigning, denn es geht nicht einfach um ein Mehr an Kommunikation, sondern darum, sich auf bestimmte Themen zu konzentrieren. Erreicht werden soll in dem einen wie in dem anderen Fall die Aufmerksamkeit der Bürgerinnen und Bürger – einmal in der Rolle des Wählers, das andere Mal als Konsument. Nicht nur Politik und Wirtschaft investieren mehr in Kampagnen. Der Trend ist auch bei Organisationen des Dritten Sektors und dort ganz besonders bei NGOs zu beobachten. Öffentlichkeit war seit jeher die wichtigste Ressource dieser Organisationen. Und sie sind diejenigen, von denen Parteien und Unternehmen am meisten lernen können.
Die Entwicklung hin zu größeren Investitionen in die Kommunikation und spektakuläreren Kampagnen hat mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun. In einer sich individualisierenden Gesellschaft sinkt das Vertrauen in politische Institutionen und Großorganisationen wie Parteien, Gewerkschaften und Verbände. Parallel dazu lockern sich die Bindungen und erodiert die Bindungsfähigkeit von Organisationen. Dies gilt inzwischen auch für NGOs, die im Umweltbereich bislang immer darauf vertrauen konnten, ihre Mitglieder mobilisieren zu können. Es gilt aber auch für die Unternehmen, die Menschen dazu bringen wollen, ihre Produkte zu kaufen und letztlich, auch sich mit dem Unternehmen zu identifizieren oder es wenigstens zu respektieren. Unternehmen versuchen heute durch zahlreiche Sozialkampagnen gesellschaftlich drängende Themen aufzugreifen und sich als verantwortlich handelnde Akteure darzustellen.
Der Schwerpunkt dieses Heftes widmet sich dem Thema Kampagnen und den Auswirkungen dieser besonderen Art der Kommunikation auf unser Verständnis von politischer Öffentlichkeit. Denn der Inszenierungsdruck verändert nicht nur unsere Wahrnehmungsweise, sondern auch unser Verständnis von politischem Handeln. Gleichwohl ist zu bedenken, dass es Kampagnen gibt, solange es Politik gibt. Das Theatralische, die Visualisierung, die Darstellung war der Politik schon immer zu eigen. Und nicht zuletzt ist das Protesthandeln, die wichtigste Aktionsform sozialer Bewegungen, meist kampagnenförmig organisiert und eine soziale Bewegung umso stärker, je kampagnenfähiger sie ist. Dennoch ist von einer Transformation des Politischen die Rede, die durch die professionalisierte Kampagnenkommunikation in Gang gesetzt wird.
Die verstärkten Investitionen allgemein in PR und im Besonderen in Kampagnen lassen sich im Campaigning der letzten Jahre gut beobachten. Während sich das Campaigning von Greenpeace, das im Umweltbereich Maßstäbe setzte, allmählich abnutzt, treten andere Organisationen und Akteure hervor. Im Umweltbereich ist es die Deutsche Umwelthilfe (DUH), der WWF und der BUND, die unterschiedliche Kampagnenkonzepte und Mischungen von Campaining und Lobbying verfolgen.
Auch die Wirtschaftsakteure versuchen, mit Kampagnen auf ihre Themen aufmerksam zu machen und damit ihre Ziele durchzusetzen. Die Kampagnen Du bist Deutschland und Deutschland – Land der Ideen vor der Fußballweltmeisterschaft 2006 zeigen, wie Wirtschaftsakteure gesellschaftliche Verhaltensweisen verändern und Stimmungen stimulieren wollen.
Der Themenschwerpunkt beginnt mit dem einleitenden Beitrag von Rudolf Speth, in dem die Veränderungen des Campaignings und der zunehmende Inszenierungsdruck beschrieben werden. Das Handwerk des Campaignings beherrschen nach wie vor die NGOs und die Umweltgruppen am besten – auch wenn inzwischen andere Akteure aufgeholt haben. Fabian Friedrich, Michael Buchner und Dino Kunkel geben Hinweise, wie sich das Kampagnenmanagement von NGOs optimieren lässt. Manuel Reiß vergleicht dagegen die Kampagnenmodelle der verschiedenen Umwelt-NGOs und kommt zum Ergebnis, dass die konfrontativen und kooperativen Elemente doch unterschiedliches Gewicht haben. Mehr Konfrontation wünscht sich Frauke Banse von den international tätigen NGOs. Bei ihnen ist die Gefahr 4 Editorial besonders groß, sich als Experten und Lobbyisten anzupassen. Kampagnen von sozialen Bewegungen nutzen heute zunehmend das Internet als neuen Kommunikationsraum. Sigrid Baringhorst, Veronika Kneip und Johanna Niesyto untersuchen anhand von Kampagnenwebsites von Anti Corporate Campaigns, mit welchen Mitteln diese transnationale Öffentlichkeit herstellen. Auch bei den Gewerkschaften werden mehr Kampagnen geführt – „Eine läuft immer“ –, doch Hans-Jürgen Arlt sieht darin keine Lösung für die Probleme der Gewerkschaften. Sie müssen sich vielmehr den gesellschaftlichen Veränderungen stellen und die Erwartungen und Erfahrungen der Menschen aufnehmen. Erst dann ist verstärktes Campaigning sinnvoll.
Die Konvergenz in der Art der Kampagnengführung und bei den Themen lässt sich besonders gut bei den Sozialkampagnen beobachten. Katja Prescher zeigt, wie Non Profit-Organisationen Instrumente des Profit-Marketings übernehmen und Unternehmen gesellschaftliche Themen in ihrem Campaigning aufgreifen. Wie schwer sich Wirtschaftsinitiativen tun, bei ihren Adressaten als unabhängig und gemeinwohlorientiert wahrgenommen zu werden, zeigen Jens Tescher und Judith Laux in ihrem Beitrag am Beispiel einer empirischen Analyse des Kommunikationsmanagements der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
Zwei Berichte aus der Campaigner-Praxis runden den Schwerpunkt ab. Hans Hütt, Nikolaus Huss und Annette Rogalla berichten über die Dialog-Kampagne der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände anlässlich der Gesundheitsreform 2006, bei der es darum ging, Sonderlasten, die den Apothekern auferlegt werden sollten, abzuwehren. Der Dialog ist eines der Elemente, welches Kampagnen der Wirtschaft und der Politik verbindet. Hans H. Langguth plädiert dafür, dass Unternehmen mehr von der Wahlkampfführung der Parteien und von den NGOs lernen können, als diese wahrhaben wollen.
Die aktuellen Analysen des Heftes beschäftigen sich mit den Transformationsstaaten Osteuropas. Gesine Schwan begründet ihre These, dass Medienfreiheit die Voraussetzung von Demokratieentwicklung ist. Die Entwicklung der Demokratie in Russland hat unter Putin stark gelitten, doch ist die russische Gesellschaft ein Stück ziviler geworden. Dies sei auch ein Verdienst der NGOs. Diese hätten sich, so Jens Siegert, widerständiger als angenommen gezeigt.
Das Thema Campaigning wird auch in der Rubrik Pulsschlag und mit Buchbesprechungen in der Rubrik Literatur aufgegriffen.
Rudolf Speth (Berlin)
Anmerkungen
- Willems, Herbert/Jurga, Martin (Hg.) 1998: Inszenierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch, Opladen.[zurück]
- Sarcinelli Ulrich 1992: Massenmedien und Politikvermittlung. Eine Problem- und Forschungsskizze. In: Wittkämper, Gerhard W. (Hg.), Medien und Politik, Darmstadt, 37-62.