In den jüngsten Verhandlungen zum Konjunkturpaket der Großen Koalition hat es sich wieder einmal sehr deutlich gezeigt: Eine politische Entscheidung steht an und jede Interessengruppe versucht, die Entscheidungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Der Einfluss von Interessengruppen gehört zu den klassischen Themen der Politikwissenschaft. Dem häufig zu hörenden Vorwurf, dass dieser Einfluss der Lobbyisten illegitim sei, wird meist mit zwei Argumenten begegnet. Zum einen sei es in einer pluralistischen Demokratie, deren Aufgabe auch der Ausgleich der Interessen ist, vollkommen legitim, seine Interessen zu vertreten. Zum anderen bedürfe die Politik der fachlichen Expertise der Verbände, um sachgerechte Entscheidungen treffen zu können. Auch wenn dies im Grundsatz richtig ist, dürfen die Schattenseiten des Lobbyismus nicht auch dem Blick geraten. Das Problem ungleicher Durchsetzungsfähigkeit von Interessen ist lange bekannt, aber unter dem Blickwinkel demokratischer Teilhabe nach wie vor höchst fragwürdig. Ebenso problematisch ist aber auch die mangelnde Transparenz des Entstehungsprozesses politischer Entscheidungen. So kommt es zu einem ungleichen Einfluss auf die Politik, die es zudem Politikern, Medien und nicht zuletzt Bürgern zunehmend erschwert, die Entstehung politischer Entscheidungen nachzuvollziehen. Eine Demokratie braucht aber Transparenz und klare Regeln für jede Form der Interessenvertretung. Dem steht in Deutschland inzwischen eine Praxis gegenüber, die aus demokratietheoretischer Sicht problematisch ist (vgl. den Beitrag von Christine Hohmann-Dennhardt).
In den USA hat das Thema Lobbyismus bereits soviel Prominenz erlangt, dass der neue Präsident Barack Obama als eine seiner ersten Amthandlungen neue Regeln für den Umgang der Abgeordneten und Beamten mit Interessengruppen erlassen hat. In Deutschland wurde bisher von den Medien jedoch nicht bei allen politischen Entscheidungen so genau hingeschaut wie in der momentanen Wirtschafts- und Finanzkrise. Vielmehr ist die Problematik von allen Akteuren lange verkannt worden. Und das obwohl es bereits von der Wissenschaft aufgegriffen wurde (Leif/Speth 2006) und auch aktuell Gegenstand politikwissenschaftlicher Forschung ist (vgl. den Beitrag von Matthias Corbach) und Forschungsperspektiven bietet (vgl. den Beitrag von Gerd Mielke). Seit dem vergangenen Jahr ist es aber auch im Parlament und einer breiteren Öffentlichkeit angekommen. Auf europäischer Ebene wurden bereits neue Regeln erlassen, die zwar unbefriedigend sein mögen (vgl. den Beitrag von Ulrich Müller), aber zumindest ist die Thematisierung der Interessenkonflikte ein erster Schritt für eine dringend nötige prinzipielle Klärung der nicht legitimen Einflusszonen des Lobbyismus im Parlament. Parlamentarier sowie Ministerialbeamte sind hellhörig geworden. Denn inzwischen wurde deutlich, dass das 2002 unter Federführung deutscher Großunternehmen wie der Deutschen Bank und dessen Personalvorstands Dr. Tessen von Heydebreck entwickelte und unter dem damaligen Innenminister Otto Schily eingeführte Programm ‚Seitenwechsel’, das die Beschäftigung von Mitarbeitern großer Unternehmen in Ministerien ermöglicht, von Unternehmen vor allem genutzt wurde, um Gesetze und Verordnungen in ihrem Sinne zu beeinflussen (Adamek/Otto 2008). Eine Rüge des Bundesrechnungshofes, die fehlende Regelungen für den Einsatz der so genannten Leihbeamten bemängelte, gab dem Programm den Rest: Dieses Programm ist am Ende. Der Kollateralnutzen dieses Übergriffs ist auffällig. Im deutschen Bundestag beschäftigen sich mittlerweile alle Fraktionen mit der Begrenzung des Lobby-Einflusses. So werden auch in Deutschland Ideen für ein Lobbyregister diskutiert. Es tut sich also was in der deutschen Lobbyszene.
Dem gewachsenen Problembewusstsein begegnen aber auch Lobbyisten. Angesichts der Erkenntnis, dass unlautere Methoden dem Ansehen ihres Berufsstandes schaden, diskutieren sie über die Einführung und Ausgestaltung eines Verhaltenskodex. Aber gleichzeitig setzen sie auch alle Hebel in Bewegung, damit ihr Einfluss nicht schwindet. Zum Handwerk des Lobbyisten gehört nach wie vor die Kontaktpflege – in erster Linie zu hochrangigen Ministerialbeamten, aber auch zu Abgeordneten -, um politische Entscheidungsträger zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Dabei greifen sie auf die Gewährung von Annehmlichkeiten wie Bewirtungen oder die Vermittlung von Aufsichtsrats- und andere Posten zurück. Diese Art der Einflussnahme geschieht oftmals abseits der Öffentlichkeit und erregt nach wie vor – zumindest, wenn sie publik wird - Anstoß. Ebenso wie vor einigen Jahren die Affäre um den PR-Berater Moritz Hunzinger auf Kritik stieß, sorgt heute der Gang durch die so genannte Drehtür – der Wechsel von der Politik in die Lobby- oder Beraterbranche – zumindest für ein Naserümpfen. Der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder sowie sein Wirtschaftsminister Wolfgang Clement stehen für diese Entwicklung. Ebenso wechselten Dietmar Staffelt (SPD) zu EADS und Marianne Tritz (Bündnis 90/Die Grünen) zum Deutschen Zigarettenverband. Die Liste ließe sich fortsetzen. Nur: Oftmals werden diese Wechselbeziehungen gar nicht erst bekannt. Hier fehlt es an kritischer Berichterstattung, die diese Wechsel zum öffentlichen Thema machen und aufmerksam verfolgt. Ohne diese kritische Berichterstattung kann in den Hinterzimmern abseits der Öffentlichkeit weiterhin unbemerkt Einfluss ausgeübt werden.
Aber Lobbyisten agieren nicht mehr nur in dunklen Hinterzimmern, um die Politik in die gewünschte Richtung zu lenken. Unternehmen und Interessenverbände treten inzwischen auch an die Öffentlichkeit und präsentieren sich dort als soziale und umweltbewusste Wohltäter, denen das Gemeinwohl am Herzen liegt. Dazu gehört auch – neben den zugestandenen positiven Effekten – die Praxis der Corporate Social Responsibility (vgl. den Beitrag von Dietmar Jazbinsek). Das Engagement von Unternehmen wird in den Vordergrund gestellt, um von möglicherweise fraglichen Kerninteressen – etwa der Vernachlässigung umweltpolitischer Standards - abzulenken und darüber hinaus ein diffuses Abhängigkeitsverhältnis zu schaffen. Dies ist nur ein Beispiel, wie Lobbyisten zivilgesellschaftliche Praktiken für eigene Zwecke instrumentalisieren. Ebenso wird auf Medien und Wissenschaft eingewirkt, sodass auf allen Kanälen die gleiche - den Lobbyisten genehme - Botschaft zu hören ist (vgl. den Beitrag von David Miller). Auch diese Zusammenhänge werden von Journalisten zu selten recherchiert und thematisiert (vgl. den Beitrag von Albrecht Ude). Dabei werden den Journalisten auch Steine in den Weg gelegt. Zu den eher ruppigen Methoden gehört der Entzug von Anzeigen bei kritischer Berichterstattung. Aber es hat sich inzwischen auch eine regelrechte PR-Industrie entwickelt, die ihr Geld mit der Entwicklung ausgeklügelter Strategien verdient, mittels derer sich Unternehmen in ein positives Licht rücken können. Diese Entwicklung hat nicht nur Einfluss auf die Art und Weise, wie Lobbying betrieben wird. Es betrifft auch die Chancengleichheit. Denn in dem Maße, in dem sich Lobbyismus professionalisiert und als Dienstleistung angeboten wird, erlangen finanzstarke Interessengruppen und Unternehmen einen Vorteil gegenüber schwach organisierten Gruppen. Vergegenwärtigt man sich die zunehmende Instrumentalisierung der Öffentlichkeit, wird immer deutlicher, dass Lobbyisten stets mehrere Wege gleichzeitig beschreiten, um ihre Interessen durchzusetzen. Wenn durch die mögliche Einführung eines Lobbyregisters damit begonnen wird, Licht in die bisher dunklen Hinterzimmer zu bringen, sind die Lobbyisten bereits in die Öffentlichkeit ausgewichen. Es wird nicht mehr nur auf Verdunklung gesetzt, sondern ebenso auf Blendung. Wenn Hinterzimmerabsprachen nicht geheim gehalten werden können, dann muss die Öffentlichkeit davon überzeugt werden, dass man nichts Unrechtes – besser noch: Gutes – tut. Die Argumentation für das Programm Seitenwechsel veranschaulicht dies. Durch den erhöhten Austausch des Personals zwischen Wirtschaft und Verwaltung sollte eine – wie auch immer – bessere Politikgestaltung möglich werden. Lobbyisten begeben sich also nicht nur in die Öffentlichkeit, um mehr Transparenz zu schaffen, sondern um sie zu manipulieren. Die angewandten Methoden sind dabei aber oftmals genauso undurchsichtig wie die des nach wie vor bestehenden Hinterzimmerlobbyismus. Ein Lobbyregister mit funktionierenden Regeln (vgl. den Beitrag von Christian Humborg) mag Licht in die Hinterzimmer bringen. Aber auch gezielte Desinformationsstrategien gegenüber der Öffentlichkeit müssen Gegenstand der öffentlichen Debatte sein. Vor dem Hintergrund generalstabsmäßig geplanter Kampagnen gegenüber der Öffentlichkeit sind Journalisten und Medien mehr denn je gefordert, ihrer Aufgabe nachzukommen: kritischer Berichterstattung und gründlicher Recherche, um für mehr Transparenz zu sorgen. Zwar existieren inzwischen zivilgesellschaftliche Organisationen wie LobbyControl in Deutschland – die Organisation wird in der Rubrik Pulsschlag vorgestellt - und Spinwatch in Großbritannien, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Treiben der Lobbyisten genauestens in Auge zu behalten. Doch sind sie zumeist mit zu wenig Ressourcen ausgestattet, um diese Aufgabe alleine stemmen zu können.
Diese Entwicklungen waren Anlass genug für netzwerk recherche und das Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, die Fachtagung In der Lobby brennt noch Licht – Lobbyismus als Schattenmanagement in Politik und Medien zu initiieren, bei der am 19. und 20. September 2008 Politiker, Lobbyisten und Journalisten zusammenkamen, um die Entwicklungen des Lobbyismus zu diskutieren. Das vorliegende Heft versammelt die wichtigsten Beiträge der Tagung.
Im Rahmen dieser Tagung feierte das Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen auch sein 20jähriges Bestehen. Dies bot eine gute Gelegenheit, Entstehung, Entwicklung und Wirkung der Zeitschrift zu reflektieren. Diese umfassende Aufgabe hat Roland Roth als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats gerne übernommen und seine Überlegungen dokumentieren wir in der Aktuellen Analyse. Darüber hinaus präsentiert Adalbert Evers in der Rubrik Pulsschlag einige programmatische Überlegungen zum Verhältnis von Drittem Sektor und Zivilgesellschaft, in denen er dafür plädiert die Engführung von Drittem Sektor und Zivilgesellschaft zu überwinden.
Tobias Quednau (Berlin), Thomas Leif (Wiesbaden)
Literatur
- Leif, Thomas /Speth, Rudolf 2006: Die fünfte Gewalt. Lobbyimus in Deutschland. Wiesbaden: Westdeutscher.
- Adamek, Sascha/ Otto, Kim 2008: Der gekaufte Staat. Köln: Kiepenheuer und Witsch.